Sterntaler 2

Heilende Kräfte – ein Weg zur Liebe

Sterntaler 2

Heilende Kräfte habe ich durch die Hausaufgaben erfahren, die ich von einer Heilerin ein paar Monate lang bekam. Durch die Hausaufgaben kam ich zu neuen Erkenntnissen. Mein Leben hat sich dadurch von Grund auf geändert. Ich habe den Text „Heilende Kräfte“ geschrieben, um einen einfachen und freudvollen Weg der Bewusstseinserweiterung aufzuzeigen.

Fast ein Jahrzehnt lang hatte ich hart an mir gearbeitet, um mein Bewusstsein zu erweitern und um neue Erkenntnisse zu erlangen mit dem Ziel, leichter und angenehmer leben zu können. Selbsterfahrung in Einzel- und Gruppentherapie, verschiedene Formen von Meditation brachten mich weiter auf meinem Weg, und ich bin froh, immer wieder neue Lehrer für mich gefunden zu haben. Jedoch hatten alle Formen der Entwicklungsmöglichkeiten damals Ähnlichkeit miteinander: Meist gab es in tiefen Schmerz – viele, viele Tränen flossen – und dann ging es Schritt für Schritt aufwärts, oft in große Freude hinein über das Überwundene. Aber schon bald winkte das neue Hindernis, was wieder den Abstieg in das Leid erforderte, um richtig erkannt und bearbeitet zu werden. Wachstum ist mit Schmerz verbunden, anders geht es eben nicht, dieser Gedanke stand für mich fest.
Mit der Meditation war es ähnlich: In eiserner Selbstdisziplin mußte sie ausgeführt werden, wenn sie etwas bewirken sollte. Zwar war ich über jede neue Lernsituation glücklich und begab mich mit Eifer in sie hinein, aber oft hatte ich das Gefühl, als ginge es dabei immer um die Zukunft, nicht um das Jetzt. Erst nach der Überwindung, nach der Anstrengung winkte das Glück. Als ich dann vor ein paar Jahren mit den „göttlichen Hausaufgaben“ arbeiten durfte, spürte ich, daß diese Art der Selbsterfahrung mir sehr zusagte. Hier ging es um das Lernen in der Freude, um Wachsen ohne Schmerzen – etwas ganz Neues und Sensationelles. Ich habe diese Form in meine eigene Arbeit inzwischen mit hinein genommen. Für meine Klienten und alle Suchenden habe ich diesen Text geschrieben und hoffe, daß er etwas von der Freude rüberbringt, mit der ich durch die Hausaufgaben gewachsen bin.

An einem Samstag Mittag vor ein paar Jahren nagte wieder einmal die Angst vor Stillstand an mir. Auf meinem Meditationsplatz grübelte ich darüber, wie es in meinem Leben weitergehen sollte. In einem Augenblick der Stille nahm ich einen Impuls in mir wahr: Rufe die Leute in der Arche an! Die Arche war ein Haus im Sauerland, das ich schon ein paar Mal als Erholungsstätte genutzt hatte. Wunderschön gelegen, bot es eine Möglichkeit, sich vom Lärm und Gestank der Großstadt zu erholen. Aber was hatte das mit meiner Weiterentwicklung zu tun? Ich konnte es mir nicht erklären, rief aber trotzdem an.

„Du hast Glück. Eine Woche später hättest du uns nicht mehr erreicht. Wir ziehen nämlich hier aus“, erklärte der Herbergsvater. „Wenn du willst, kannst du an diesem Wochenende noch einmal kommen.“ Wie seltsam, dachte ich und machte mich sofort auf den Weg. Erstaunt nahm ich die Mitteilung entgegen, daß seit ein paar Wochen eine Heilerin in diesem Haus lebte. Eine Heilerin, so nah und zum Anfassen, damit hätte ich nicht gerechnet. Völlig aufgeregt begab ich mich erst einmal in den Wald. Dort wollte ich mich sortieren und beruhigen. Mir war klar, daß ich zu dieser Frau geschickt worden war, weil sie wichtig sein würde für mich. Ich hatte noch etwas Zeit, über alles nachzudenken, da sie erst am nächsten Tag nach Hause kommen würde.

Was und wie mochte sie wohl heilen? Vielleicht legte sie ihre Hände auf kranke Stellen im Körper, oder würde sie gar wie die philippinischen Heiler nur mit ihrer geistigen Kraft arbeiten? Ich fieberte dem nächsten Tag entgegen. Am Vormittag unternahm ich noch einmal eine Wanderung und verlief mich dabei auf einem mir gut bekannten Weg. Als ich an meinen Ausgangspunkt zurück kam, hatte ich das Gefühl, auf der Stelle zu dem Haus gehen zu müssen. Eigentlich sollte die Frau erst gegen Mittag zurück sein. So lange hatte ich im Wald bleiben wollen. Nun drängte es mich jedoch zurück, und meine Aufregung wuchs. Ich stellte mir vor, wie eine madonnenhafte, große, schlanke Frau mit langen schwarzen Haaren auf mich zu käme.

Sie war tatsächlich schon da, denn ihr Auto stand auf dem Hof. Leise öffnete ich die Haustür, schlüpfte ins Haus und zog mir die Schuhe aus. Nun drückte ich respektvoll und geräuschlos die Türklinke zum Gemeinschaftsraum herunter. Nur nicht stören, dachte ich, als mir von innen eine fröhliche Stimme entgegen rief: „Komm ruhig herein. Ich weiß schon Bescheid. Sie haben mir unterwegs von dir erzählt.“ Erleichtert trat ich ein und sah mich einer kleinen, etwas pummeligen Frau mit blonden, kurzen Haaren gegenüber, die lachend auf dem Schoß ihres Mannes im Schaukelstuhl saß. Das also war sie! Mir fiel ein Stein vom Herzen, weil hier alles so natürlich war. Ihre Augen strahlten, als sie mich begrüßte.

„Sie haben mir unterwegs schon von dir erzählt“, wiederholte sie freundlich. „Sie haben mir gesagt, daß du Heilerin werden möchtest.“ Ich war sprachlos. Wer hatte mit ihr über mich gesprochen? Jetzt lachte sie wieder und sagte: „Meine Helfer sind immer dabei. Du wirst bald Bekanntschaft mit ihnen machen.“

Es war für mich nicht neu, zu hören, daß jemand Kontakt mit überirdischen Wesenheiten hatte. In Büchern hatte ich viel darüber gelesen, und ich glaubte inzwischen an Dinge, die ich mit meinen Augen nicht wahrnehmen konnte. Trotzdem war ich jetzt sehr erstaunt.

In meiner ersten Einzelsitzung, die ich an diesem Tag erhielt, erfuhr ich wichtige Dinge über mich, über die ich abwechselnd weinte und lachte, weil sie mich tief berührten. Was mir gesagt wurde, hätte sich nicht ein Mensch einfach so ausdenken können. Mir wurden wichtige Hinweise gegeben, und ich war sehr, sehr glücklich am Ende der Sitzung.

Als Hausaufgabe sollte ich mir zehn Tage lang genau überlegen, ob ich wirklich Heilerin werden wollte. Schließlich heißt das, immer für die Nöte meiner Mitmenschen bereit zu sein, vielleicht auf Feiertage zu verzichten. Außerdem müsste ich mich auf viel Neues einlassen. Ich sollte es mir wirklich gut überlegen und nach zehn Tagen anrufen. Beglückt fuhr ich nach Hause und meditierte in den nächsten zehn Tagen mehr denn je. Am Ende stand für mich fest: Mein allergrößter Wunsch ist es, Heilerin zu werden. Die Arbeit als Psychotherapeutin ist eine langwierige Angelegenheit. Manche Klienten sind jahrelang in Behandlung! Als Psychotherapeutin fühle ich mich oft so begrenzt. Und ich merke, dass ich meine Bewusstseinsänderung auch im Beruf ausdehnen will.

Zwar konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie meine Ausbildung zur Heilerin sein würde, und wie ich einmal arbeiten sollte, aber das würde sich schon noch zeigen. Als ich nach zehn Tagen meinen Entschluss mitteilte, erfuhr ich, daß ich in der nächsten Zeit einige Einzelsitzungen haben würde, und ansonsten mit Hausaufgaben versehen werden sollte.

2

Eine meiner ersten Hausaufgaben bestand darin, spazieren zu gehen und alle fünfzig Meter stehen zu bleiben. An einem schönen, sonnigen Tag zog ich ziemlich aufgeregt los und wählte einen Weg, auf dem ich schon viele Male gewandelt war. Meist wurde bei meinen Spaziergängen das Thema, das mich gerade beschäftigte, in meinem Kopf hin und her bewegt, wobei die Ruhe der Pflanzen eine ordnende und beruhigende Funktion übernahmen. Es war ähnlich wie bei meinen Meditationen. Ja, es war eine Art Meditation.

Nun sollte ich also ständig stehen bleiben. Die erste Pause machte ich vor einem Strauch. Die Blätter reckten sich mir entgegen, tuschelten untereinander und sahen mich an. Es schien wirklich so, als wären da überall neugierige Augenpaare auf mich gerichtet. Mein Herz schlug schneller. „Deine Phantasie geht mit dir durch“, dachte ich und ging weiter. Fünfzig Meter – stehen bleiben! Diesmal wurde ich von einer Gruppe bunter Blumen begutachtet. Nein, das ist der falsche Ausdruck. Es war mehr wie eine Einladung. Die Blumen schienen mir zuzujubeln: „Freue dich mit uns am Leben! Sieh die Sonne, spüre den Wind, der deine Haut streichelt. Rieche den Duft, der von uns ausströmt. Siehst du die Schmetterlinge, wie sie voller Freude am Leben sind?“

Ich vernahm dieses alles, aber es gab Widerstände in mir. So ging ich fünfzig Meter weiter und machte Halt vor einer kleinen schwarzen Amsel. Sie saß wohlgelaunt am Wegesrand und amüsierte sich über meine Schwere. Mit ihren dunklen Augen sah sie mich an. Ich hätte schwören können, dass sie lächelte. Auch sie sprach zu mir: „Was du hier wahrnimmst, ist die Schöpfung“, sagte sie. „Diese ganze Schönheit wurde von Gott erschaffen. Wenn du dich öffnest, weißt du das. Du weißt, dass hinter allem Gott steht, und du weißt, dass er dich liebt.“

Tränen schossen mir in die Augen. Dieses Thema hatte ich immer weit von mir gewiesen. Gott gab es in der Bibel oder in anderen Büchern, aber mit meinem Leben hatte er nicht viel zu tun. Gott ist so etwas wie eine Droge für schwache Menschen, hatte ich einfach behauptet. Und nun diese neue Erfahrung! Irritiert machte ich die nächsten fünfzig Meter und stand vor einer stattlichen Buche. „Hallo“ raunte sie mir zu, „schön dass du gekommen bist, und dass du dich geöffnet hast! Ich liebe dich. Du bist jetzt so bewegt, weil du zum ersten Mal spürst, dass du dazugehörst. Wir alle gehören dazu, sind Teil des Ganzen. Wer das weiß, fühlt die Liebe in sich, die Liebe zu Gott und zu sich selbst. Nur diese Liebe füllt dich ganz aus, füllt das Loch in deinem Bauch. Die Menschen quälen sich herum mit ihrem Individualismus. Sie vergeuden ihre Kräfte mit unwichtigen Dingen, die sie obendrein noch unglücklich machen. Ein Leben ohne Gott ist ein unglückliches Leben.“

Das war zu viel für mich, und schnell ging ich weiter. Auf einer einer Bank wollte ich zur Ruhe kommen, denn das eben Erlebte hatte mich tief erschüttert. Mein Weltbild brach zusammen. Was sollte ich tun?

„Warum quälst du dich so?“ hörte ich plötzlich eine Stimme sagen. Ein zitronengelber Schmetterling hatte sich auf meinem Arm niedergelassen und nahm den Kontakt zu mir auf. „Warum wehrst du dich so gegen Gott?“ fragte er. „Du musst dir keine Person vorstellen, die strafend und lobend auf einem Thron sitzt und Macht über die Menschen ausübt. Die Stimme, die du jetzt hörst, ist Gott. Die Natur ist Gott. Du selber bist Gott. Die anderen sind Gott. Gott ist alles und überall. Ich weiß, dass es für die meisten Menschen unvorstellbar ist. Ihr seid es gewohnt, nur das zu akzeptieren, was ihr sehen und anfassen könnt. Du ringst seit Jahren um Bewusstseinserweiterung, und du weißt, dass es viel mehr gibt als eure kleine Welt. Wenn dir der Begriff Gott zu abgegriffen ist, ersetze ihn durch Energie, Weisheit, Universum oder sonst etwas. Das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, dass du weißt, dass alles miteinander verbunden ist. Ob Mensch, Tier, Pflanze oder Stein, jedes hat seinen Platz und soll respektiert werden! Für heute hast du genug gelernt.“ Der Schmetterling erhob sich und flog davon. Auch ich erhob mich und begab mich nach Hause.

Als ich meiner Lehrerin, der Heilerin, von diesem Erlebnis berichtete, lachte sie und meinte: „Du hattest eine Reihe von Begleitern bei deinem Spaziergang. Besonders der Erzengel Michael hat es genossen, mitzugehen. Er liebt dich sehr!“

O weia, erst Gott und jetzt auch noch die Engel! Ich hatte nichts von einer Begleitung gespürt, keinen Schatten wahrgenommen. Was sollte ich nun wieder davon halten!

Eine Antwort bekam ich ein paar Tage später: In meiner Wohnung passierten Dinge, die einfach unerklärlich waren. Einmal verschwand die Hülle eines abgebrannten Teelichtes spurlos vor meinen Augen. Es war kein Irrtum möglich, nicht von menschlicher Hand war hier etwas verschwunden. Ein anderes Mal, ich hatte Besuch von einer Freundin, spürte ich plötzlich etwas Eigenartiges in meinem Ohr. Ich fasste hin und schrie auf: Mein ganzes Ohr war angefüllt mit etwas. Ich zeigte es meiner Freundin, die gar nicht begreifen konnte, was sie da sah: so etwas wie abgebrannte Streichhölzer lagen friedlich in meiner Ohrmuschel. Ich konnte sie schnell wieder entfernen, aber wie waren die da rein gekommen? Ein anderes Mal hörte ich beim Abwaschen Radio. Plötzlich verstummte die Musik, und ich dachte, dass es einen Stromausfall gegeben hätte. Dem war aber nicht so! Vielmehr lag der herausgezogene Stecker neben dem Apparat. Außer mir war niemand in der Wohnung, und jetzt musste ich einfach verstehen! „Sie“ machten sich bemerkbar, und ich bezog sie in Zukunft in mein Leben mit ein.

Inzwischen verstehe ich meistens auch die dezenten Hinweise und nehme sie dankbar an. Sie sind als Geschenke gedacht, die mir in meiner Entwicklung beistehen.

3

Eine Zeitlang ging es bei mir um Ehrlichkeit auch in den kleinen Dingen des Alltags. Ich setzte mich mit diesem Thema in meinen Meditationen auseinander und wurde ständig durch irgendwelche Tagesereignisse darauf gestoßen. Es ging darum, mir klar zu werden, dass jede Lüge, jeder Betrug, und sei er noch so klein, negative Energien verströmt. Schwarzfahren in der Bahn oder falsches Wechselgeld entgegen nehmen oder sich vordrängeln, Betrug gibt es an jeder Ecke! Ich beobachtete mich und die anderen genau. In dieser Zeit hatte ich aus irgendwelchen Gründen sehr wenig Geld zur Verfügung. Es kam vor, dass mein Portemonnaie ganz leer war, was sehr selten bei mir der Fall ist. Heute weiß ich, dass dieser Zustand zu meiner damaligen Lektion gehörte.

Eines Tages ging ich mit fast leerem Portemonnaie spazieren. Plötzlich verspürte ich den Wunsch, eine Freundin anzurufen, mit der ich mich zwei Stunden später treffen wollte. Obwohl ich das nicht verstand, steuerte ich die nächste Telefonzelle an. Da hörte ich etwas in mir sagen: „Nicht diese, die Telefonzelle da drüben musst du nehmen“. Folgsam überquerte ich die Straße und öffnete die Tür. Wie vom Blitz getroffen blieb ich stehen. Da lag ein prall gefülltes Portemonnaie auf der Ablage. Ich untersuchte den Inhalt, um eine Adresse zu finden. Es gab zwei 50 DM Scheine, mindestens zehn 5 DM Stücke und anderes Silbergeld. Hätte ich mir etwas Geld genommen, wäre es bestimmt nicht aufgefallen. Ich lachte laut los und sagte mit einem Blick nach oben: „Darauf falle ich nicht herein. Ich weiß, dass ich bald wieder genug Geld haben werde. Da muss ich nicht jemanden bestehlen.“ Da es keine Adresse in dem Portemonnaie gab, die Gegend ziemlich einsam war, und ich dachte, dass der Verlierer sich bestimmt an die Situation erinnern und zurück kommen würde, ließ ich das Geld liegen und ging weiter. Nach etwa dreihundert Metern gab es eine Baustelle, an der kein Vorbeikommen möglich war. Ob ich wollte oder nicht, ich musste umkehren und noch einmal an der Telefonzelle vorbei gehen, was mich amüsierte, weil mir das wie eine erneute Versuchung vorkam.

Schon von weitem sah ich einen älteren Mann mir entgegen hetzen. Er stürmte in die Telefonzelle und ergriff aufatmend seine Geldbörse. Ich freute mich für ihn und für mich und hatte das Gefühl, dass „die da oben“, wie ich die unsichtbaren Lichtwesen liebevoll nenne, sich mit mir freuten.

4

Gedanken, Taten, Worte – alles erzeugt Schwingungen, mit denen wir ständig in Berührung kommen. Darum ist es wichtig, positive Gedanken zu haben und auf unsere Worte zu achten. Ich hatte mir angewöhnt, ständig „ich hasse“ zu sagen. Ohne darüber nachzudenken, sprudelte es aus mir: „Ich hasse es, dies zu tun! Ich hasse diese Straße! Ich hasse solche Situationen etc.“ Wahrscheinlich wurde es meinen Helfern zu viel, denn eines Tages machten sie mich auf meinen Fehler aufmerksam.

Ich saß bei meiner Arbeit mit einer Klientin in meinem Büro. Wir waren mitten im Gespräch, und wahrscheinlich hatte ich gerade mal wieder „ich hasse“ gesagt, als ein Plakat, das an der Wand hing, sich löste und im Bogen auf meinen Schoß flatterte. Die Frau rief erstaunt: „Was war das denn? Das ist ja komisch“, und ich lächelte. Natürlich wusste ich sofort Bescheid, als ich die Worte „dem Hass keine Chance“ las. Seitdem versuche ich, diese negative Redeweise nicht mehr zu benutzen.

Nicht immer verstehe ich die Zeichen von oben auf Anhieb. Manchmal benötige ich ein Getöse, das mich wachrüttelt. So war ich vor einiger Zeit dabei, mein Badezimmer zu renovieren. Das Abkratzen der alten Farbe erwies sich als harte Arbeit. Ich konnte meinem Grundsatz, alles was ich tue, gern zu tun, nicht gerecht werden. Es nervte mich außerordentlich, und ich fing an, mich, meine Ungeschicklichkeit, das Badezimmer, die Wand – alles, in Gedanken und auch laut zu beschimpfen. Plötzlich gab es einen fürchterlichen Knall, und ich stand im Dunkeln. Obwohl keine anderen Apparate außer der Badezimmerlampe am elektrischen Netz angeschlossen waren zu der Zeit, war die Sicherung herausgesprungen – für mich wieder ein Zeichen: Bei so negativen Gedanken werde ich im Dunkeln bleiben! Ich drückte die Sicherung wieder rein, entschuldigte mich für mein Verhalten, und plötzlich ließ sich die Farbe ganz leicht abkratzen.

Wenn ich bestimmten Leuten von meinen Abenteuern berichte, sagen sie sofort: „Das ist doch Zufall! Du redest dir da nur etwas ein.“ Ich bin ihnen dafür nicht böse. Nur tut es mir leid, dass sie selber so wenig wahrnehmen. Für jeden gibt es die Zeichen im Leben, die bei der Bewältigung von Problemen behilflich sind und die eine Menge Freude ins Leben bringen. Zufälle gibt es nicht! Alles hat seinen Sinn und macht auch wirklich Sinn, wenn ich genau hinsehe!

Die Hausaufgaben, von denen ich wöchentlich drei bekam, dienten dazu, mich in eine neue Sichtweise einzuführen. So nach und nach konnte ich mein Weltbild verändern und auch alte Verhaltensmuster aufgeben. Die Hausaufgaben sog sich meine Lehrerin nicht aus den Fingern, sondern sie wurden ihr als Botschaften „von oben“ durchgegeben.

5

Einmal sollte ich mir einen schönen Platz suchen und zuerst in die Erde hineinsehen, um dann nach oben in den Himmel zu schauen. Ich begab mich auf meine Lieblingswiese, legte mich auf den Bauch und starrte in die Erde. Einige Kleintiere krabbelten da herum, mit denen ich nichts anfangen konnte. Ich bemühte mich, irgendetwas wahrzunehmen. Aber da waren nur ganz normale Gedanken wie „die Erde hat einen Kern, es gibt verschiedene Schichten u.ä.“ Enttäuscht drehte ich mich um und schaute in den Himmel. Und da hatte ich wieder eines dieser wundervollen Erlebnisse, von denen es inzwischen unzählige in meinem Leben gibt, und für die ich sehr dankbar bin.

Ich sah plötzlich die Erde als Kugel im Weltall schweben. Eine kleine blaue Kugel, auf der ich in meiner jetzigen Form einen Platz hatte. Nur wir beide waren da – die Kugel und ich. Ich sah uns ziemlich begrenzt und hatte das Gefühl, als wollten wir uns ausdehnen. Plötzlich gab es einen Knall, und wir explodierten. Obwohl nun nichts mehr von unserer ursprünglichen Form zu sehen war, spürte ich deutlich, dass wir weiterexistierten. Alles was da ist, kann nicht einfach verschwinden! Auch der Tod ist nur eine Übergangsform! Ich bin Teil der Ewigkeit und darum unzerstörbar. Welche Erkenntnis! Eine unendliche Ruhe legte sich über mich.

Ein anderes Mal sollte ich wieder in die Natur gehen und mir einen schönen Platz suchen. Ich sollte mich erst nach Osten, dann nach Süden, dann nach Westen und schließlich nach Norden wenden. Ich konnte mir beim Notieren der Aufgabe niemals vorstellen, was ich dabei lernen mochte und war meistens überwältigt von dem Ergebnis.

So auch diesmal: Ich saß mitten auf einer Wiese und schaute nach Osten. Ein Baum in etwa fünfzig Meter Entfernung zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Seine Blätter bewegten sich im Wind, ansonsten strahlte er viel Ruhe aus und Standhaftigkeit.

Mir fiel der Spruch ein: Im Osten geht die Sonne auf! Im Osten fängt der Tag an, und schon war ich bei meinem eigenen Leben und den Leben der anderen Menschen. Osten setzte ich gleich mit Kindheit. Ein Kind ist neugierig, will lernen. Es ist äußerlich und innerlich bewegt, fasst alles an, um zu begreifen. Gleichzeitig fühlt es sich geborgen und versorgt durch seine Eltern. Mir fielen Erlebnisse aus meiner Kindheit ein, und ich hatte ein gutes Gefühl dabei.

Nun drehte ich mich nach Süden. Ein ganz neues Bild präsentierte sich mir: Mein Blick fiel auf die bunte Blumenwiese. Verschiedene Gräser, Blumen, Disteln, Kräuter, alles stand da durcheinander, aber trotzdem zusammenpassend. Bienen und Schmetterlinge saßen auf den Blüten und wechselten die Plätze miteinander. Alles in allem gab es ein Bild einer ungeordneten Leichtigkeit, die mir Freude bereitete. Das ist der Sommer, fiel mir dazu ein, und sofort hatte ich den Lebenssommer der Menschen vor Augen. In unserem Sommer probieren wir aus, sind lebenslustig, voller Hoffnung und Lebensfreude.

Wieder vollzog ich meinen eigenen Sommer nach und war auf einmal schmerzlich der Tatsache bewusst, dass mein Sommer unwiderruflich vorbei war. Den Lebensjahren nach befand ich mich bereits im Herbst.

Schweren Herzens trennte ich mich vom Süden und drehte mich zum Westen. Welche Überraschung! Die Blumen verschwanden aus meinen Augen. Stattdessen bemerkte ich in der Ferne einen Weg, der auf beiden Seiten begrenzt wurde von einem Wald. Welch Anblick der Ruhe und Gelassenheit! Der Weg zeigte genau an, wo es langging. Und es gab genügend Plätze zum Ausruhen. Übertragen auf mein Leben hieß das: Vorbei das Herumgegaukle, das Suchen, das Abtasten. Ich kannte meinen Weg, wusste, was ich wollte und war froh, diesen schönen Weg gefunden zu haben. Ich söhnte mich mit dem Schicksal des Älterwerdens aus und verweilte noch eine Zeit im Westen. Was konnte ich vom Norden erwarten? Lange zögerte ich den Schwenk nach rechts hinaus. Wusste ich`s doch!

Der Norden bot ein trostloses Bild: Ein Heer von ausgedörrten, vertrockneten Halmen mit braunen Blättern und wenig Leben in sich versperrte mir die Sicht. Ich war entsetzt, als ich die leblose Pflanzenkompanie so unbeweglich vor mir sah. Sofort fielen mir die weißhaarigen Frauen und Männer ein, denen ich überall begegne. Sie haben oft einen verbitterten Zug um den Mund, erloschene Augen und scheinen sehr enttäuscht zu sein von ihrem Leben. Sollte ich mir durch diese Übung klarmachen, dass das Alter eben nur noch ein Warten auf den Tod bedeutete? Nein, nein, das durfte nicht sein! Mein Leben würde ich anders gestalten. Ich wollte lebendig bleiben bis zum letzten Atemzug! Mein innerer Protest schien meine Helfer gerührt zuhaben, denn plötzlich kam Leben in die Gesellschaft vor mir. Ganz leicht verneigten sich die Halme erst nach einer Seite, dann nach der anderen. Sie wiegten sich alle zusammen von rechts nach links und von links nach rechts. Plötzlich strahlten sie eine Harmonie aus, die mein Herz rührte. Alle Bitterkeit und Enttäuschung war verschwunden.

Ich wusste, dass dieses mein Lebensziel war: Keine Wünsche und Sehnsüchte mehr zu haben, sondern mich in dem Bewusstsein zu wiegen, geschützt und geborgen zu sein, eins mit meinen Mitmenschen und der Natur. Als ich das anmutige Wiegen der Halme beobachtete, kam mir Gott in den Sinn. Sie neigen sich vor ihrem Schöpfer und sind glücklich dabei. Das will ich auch tun, dachte ich und vertiefte mich in ein Dankesgebet.

6

Bei meinen außergewöhnlichen Erlebnissen, die ich oft weitererzählte, holte ich mir neben den spöttischen und kritischen Bemerkungen einiger Zuhörer auch viel Bewunderung ein. Meine Freude über die täglichen Lernchancen wurde manchmal von meinem Stolz überdeckt. Ein Hauptziel meiner jetzigen Ausbildung bestand darin, negative Gefühle wie Stolz, Neid, Eifersucht und Eitelkeit abzubauen und durch Liebe zu ersetzen.

Als ich mich spontan entschloss, mit einer Freundin nach Paris zu fahren, bekam ich die Hausaufgabe mit auf den Weg, in Paris zu sagen: Paris ist nichts Besonderes, und ich bin Paris! Vor zwanzig Jahren war ich das letzte Mal in Paris gewesen. Damals hatte ich ein ambivalentes Gefühl zu dieser Stadt und ihren Einwohnern. Ich bewunderte die Schönheit der Stadt und auch der Menschen, fühlte mich jedoch von ihnen missachtet. Damals wurde ich den Eindruck nicht los, dass sich die temperamentvollen Franzosen über mich tollpatschige Deutsche lustig machten. Ich war sehr gespannt, was die Hausaufgabe bei mir auslösen würde. Eigenartigerweise zog ich mir einen ganz bunten Rock an, obwohl ich wusste, dass die Mode eine andere war. Als ich in Paris war, wurde mir sofort bewusst, warum ich diesen Rock auch während meines Aufenthaltes dort tragen musste. Paris ist eine der buntesten und lebendigsten Städte, die ich kenne. In meiner bunten Aufmachung spiegelte ich etwas von dieser Lebendigkeit wider. Schließlich sollte ich mich ja mit dieser Stadt identifizieren. Auf meinen Spaziergängen, die ich an der Seine machte, signalisierte ich: Ich bin wie du. Alles was du hast, habe ich auch, deine Schönheit, deine hässlichen Anteile, alles! Du bist nichts Besonderes, ebenso wenig wie ich etwas Besonderes bin. Wir sind Teil vom Ganzen. Jeder hat seinen Platz, den er ausfüllen muss. Ich erinnerte mich an besonders schöne Stellen, die ich nun aufsuchte. Bewegt gestand ich: Du bist sehr schön, Paris! Ich liebe dich. Gleichzeitig fühlte ich eine große Liebe zu mir selbst, die ich nach außen strahlte, denn fast alles Menschen, denen ich begegnete, lächelten mich an. Für diese Hausaufgabe war ich besonders dankbar, spürte ich doch, dass sie mich einen großen Schritt im Abbau von Eitelkeit und Stolz weitergebracht hatte.

7

Eine meiner schwersten Hausaufgaben hatte mit dem Ausbau von Vertrauen zu tun. Natürlich verfiel ich immer wieder in Zweifel, schrieb meine spirituellen Erlebnisse meiner Fantasie zu und rutschte in alte Gedanken zurück. Als ich die Aufgabe erhielt, drei Tage im Wald zu verbringen, wusste ich sofort, das dieses Erlebnis sehr wichtig für mich sein würde.

Jeder Tag sollte ein bestimmtes Thema haben, das mich zu neuen Erkenntnissen bringen würde. Ich muss gestehen, dass ich bei Erhalt der Aufgabe einen Schreck bekam, weil für mich zum Tag auch die Nacht gehört und mir die Vorstellung, nachts allein im Wald zu sein, eine Gänsehaut bescherte.

Auf der anderen Seite fand ich diese Herausforderung gerade passend für mich. Ich wusste, dass die Indianer solche Prüfungen machen mussten, und ich sehnte mich danach, wie in sie in noch näheren Kontakt mit der Natur zu kommen. Ich plante ein langes Wochenende – Freitag, Samstag, Sonntag – für meinen Ausflug. In meinen Rucksack packte ich Obst, Wasser und Brot für drei Tage. Ein Schlafsack, eine Isomatte und ein Regenschirm sollten mich vor Kälte und Nass beschützen.

Mit dem Zug fuhr ich in einen Ort, der mir sofort als Ausgangspunkt in den Sinn gekommen war. Als ich im Zug saß mit einem prickelnden Gefühl, das ich mit Aufregung und Angst bezeichnen möchte, gingen mir tausend Gedanken im Kopf herum. Ich hatte plötzlich das Gefühl, einen losen Zahn zu haben. Was würde sein, wenn ich Zahnschmerzen bekäme und niemand da wäre, der mir helfen könnte? Diese Frage versetzte mich in Panik, und immer wieder fühlte meine Zunge bei dem „losen“ Zahn nach. Andere Gedanken wie, was ist, wenn ich mich verletze und Schmerzen bekomme, schalteten sich dazu. Ich wunderte mich über diese Denkweise, weil ich jahrelang keinen Arzt mehr aufgesucht hatte und überlegte, ob ich aus der Krankenversicherung austreten sollte, weil ich nie krank bin. Es war mir unerklärlich, aber ich hatte das Gefühl, als sollte ich für immer die zivilisierte Welt verlassen, um mir im Busch allein zu helfen. Dabei handelte es sich nur um drei Tage!

Der nächste Schreck, der mir in die Glieder fuhr, hatte mit den Gedanken an Tiere zu tun. Zwar redete ich mir nicht ein, dass mir Raubkatzen begegnen könnten, aber ich wusste, dass es Wildschweine gab und Ratten! Wie viele fürchterliche Geschichten über Wildschweine, die Menschen auf Bäume getrieben oder sie angegriffen hatten, fielen mir ein. Ob diese Geschichten der Wahrheit entsprachen, war nicht wichtig. Auf jeden Fall hatte ich sie gehört. Und Ratten lebten auch im Wald. Der Gedanke daran, dass eines dieser Tierchen in meinen Schlafsack kriechen könnte, während ich schlief, ließ mich vor Schreck erstarren. Mit solchen Gedanken verbrachte ich meine Bahnfahrt. Aber sie konnten mir mein Vorhaben nicht unterbinden. Ich wollte die Prüfung bestehen und geläutert aus ihr hervorgehen.

Als ich den Zug verließ, schien die Sonne, und ich beschloss, die negativen Gedanken zu entlassen. Mein Zahn wackelte nicht mehr, und mein restlicher Körper fühlte sich beschwingt und leicht an. In meinen Turnschuhen und den Jeans fühlte ich mich wie in meiner Studentenzeit, als ich voller Abenteuerlust in die Welt hinausgetrampt war. Da tauchte auch schon der Wald auf, in dem ich nun untertauchen sollte. Ich begrüßte ihn mit Respekt und bat ihn um Beistand. Dann fing ich an, in ihm herumzuwandern. Ich bemühte mich, ganz wach zu sein und alles um mich herum mitzubekommen. Kein Hinweis sollte mir entgehen!

Das Thema des ersten Tages hatte mit Zerstörung, mit Unberechenbarkeit und Undurchsichtigkeit zu tun. Drei kleine Glasmarmeln, die ich von meiner Lehrerin erhalten hatte, lagen in meiner Hosentasche. Sie sollten mich auf die Themen hinweisen. Die erste Marmel war undurchsichtig, hatte Kratzer auf der Oberfläche und war nicht besonders schön. Ich hielt sie ans Licht, um sie näher zu betrachten und um meine Gedanken zu ihr zu registrieren. Irgendwie sollte ich ja wohl den Wald mit ihr in Verbindung bringen. Hm – ich sah mich um und stellte fest, dass ich mich auf einer Baustelle befand. Es gab große Flächen mit umgestürzten Tannen. Die Erde sah verbrannt aus. Irgendwelche Bagger und andere Maschinen standen herum. Menschen waren keine zu sehen. Der Wald war nicht sehr groß, und überall das gleiche Bild. Mir erschien es trostlos, und ich beschloss, mir einen neuen Wald zu suchen. Dazu musste ich mich an den Waldrand begeben. Ich überschaute eine schöne Landschaft mit Feldern und Wiesen und erspähte in einiger Entfernung den nächsten Wald, den ich nun aufsuchen wollte. Eigenartigerweise fing es in dem Augenblick an zu regnen, als ich die Landstraße betrat. Da ich das Risiko nicht eingehen wollte, nass zu werden, blieb mir nichts anderes übrig, als umzukehren und in meinem Wald Schutz zu suchen. Den fand ich auch unter einem Holzstoß.

Ich hätte mich sehr gut und geborgen fühlen können, wäre da nicht wieder so ein fürchterlicher Ausblick auf ein verwüstetes Baummeer gewesen! Was hatte das zu bedeuten? Dass die Natur starke Schäden aufzuweisen hat, war mir bekannt. Schließlich strotzen die Bäume in einer Großstadt nicht gerade vor Gesundheit. Aber so kompakt hatte ich das Leid der Natur noch nicht mitbekommen. „Ich kann doch nichts dafür“, stöhnte ich. „Wenn es nach mir ginge, sähe es hier anders aus! Aber es geht ja nicht nach mir, sondern nach dem Willen einiger unsensibler, zerstörerischer Männer!“

Aha, Schuldzuweisung und Reinwaschung! Ich bin die Gute, da sind die Bösen. Mit dem Bösen habe ich nichts zu tun. Das kannte ich doch von mir. Bestimmte Dinge wollte ich nicht wahrhaben und darum nicht einmal hinsehen. Nun wurde ich dazu gezwungen, hinzusehen und auszuhalten.

„Das Zerstörerische ist überall, auch in dir“, gestand ich mir ein. „Es geht nicht darum, diese Tatsache zu verleugnen oder zu vertuschen, sondern genau hinzusehen, zu akzeptieren und zu transformieren. Wie viele Menschen hast du schon verletzt, wenn du zu deinem eigenen Schutz um dich geschlagen hast“, ging es mir durch den Kopf. „Du kannst die bösen Kräfte in dir umwandeln, sie überwinden. Nur musst du sie erkennen! Du möchtest ins Licht, möchtest die Dunkelheit hinter dir lassen. Es wird dir gelingen, wenn du ganz rein bist. Du befindest dich in einem Reinigungsprozess. Höre auf, zu verurteilen! Die Fehler, die du bis jetzt gemacht hast, brauchst du nicht zu wiederholen! Vergib dir deine eigenen Fehler, dann wird es dir leicht fallen, auch anderen zu vergeben.“
Aus welcher Quelle diese weisen Gedanken kamen, war mir egal. Ich nahm sie ernst und tat Abbitte bei den von mir geschädigten Menschen. Stundenlang saß ich so da und ließ meinen Tränen freien Lauf. Danach ging ich mit einem neuen Gefühl durch den Wald. Ich umarmte kranke Bäume, weinte mit ihnen und betete für sie. Bis zum Abend tat ich alles, um ihnen Linderung zu verschaffen.

Als die Dämmerung einsetzte, war es Zeit, mir einen Schlafplatz zu suchen. Ich fühlte mich umgeben von meinen Helfern und beschützt und geliebt von Gott. So konnte ich mich voller Vertrauen unter den dichten Tannen einrichten. Voller Dankbarkeit war ich für den ausgefüllten Tag. Eine Amsel, die sich fürchterlich über mein Eindringen beschwerte, versuchte ich zu beruhigen: „Ich will dir nichts tun, dir auch nichts wegnehmen. Ich will nur mit dir teilen. Wir sind doch Teil des Ganzen, auch du. Freu dich über unsere Begegnung! Ich liebe dich.“ Der Mond schaute voller Wohlwollen durch die Baumspitzen, und zufrieden und glücklich schlief ich ein.

8

Die zweite Glaskugel war blau und glänzend wie der Regenbogen und das Wasser. Sie reflektierte alles um sich herum, besonders das Licht. Mit Licht und Klarheit begann mein zweiter Tag. Die Sonne lachte mir entgegen und forderte mich auf, in neue Abenteuer zu stürzen. Es war unglaublich, schon nach einer kurzen Weile fand ich einen Weg, der in einen anderen Wald überging. Ich befand mich plötzlich in einem hellen Buchenwald, in dem es strahlte und flimmerte. Vorbei die Verwüstungen, die mir am ersten Tag so zugesetzt hatten. Wie war es möglich, dass der Ausgang so nah war und ich ihn nicht entdeckt hatte? Das sollte mir jetzt egal sein. Auf jeden Fall versprach der zweite Tag ganz anders zu werden als der erste.

Singend und lachend machte ich meinen Weg. Das Licht wurde reflektiert von den Pflanzen und von den Steinen. Ich hielt meine Glaskugel in der Hand und freute mich: Das Leben ist nicht nur Zerstörung, sondern es glänzt auch und ist wunderschön. Aller Ballast des vorherigen Tages fiel von mir ab.

Als ich das erste Mal umkehren musste, weil der Weg plötzlich zu Ende war, tat ich es ohne Murren. Ich hatte ja Zeit. Der ganze Tag lag vor mir, und es war egal, wo ich langging. Beim dritten Mal Umkehren wurde ich stutzig.

Einmal ging es nicht weiter, weil der Weg noch vom letzten Regen so versumpft war, dass ein Durchkommen für mich unmöglich war. Ein anderes Mal führte der Weg in ein Kornfeld, und so ging es weiter. Das Thema des heutigen Tages schien etwas mit meinen Wegen zu tun zu haben, denn ich musste immer wieder umkehren. Ich setzte mich unter einen Baum, um nachzudenken und um mit meinen Helfern in Kontakt zu kommen. Es dauerte eine Weile, bis ich die Lektion verstand: Für mich gibt es keine vorgestanzten Wege! Ich muss mir eigene Wege suchen. In meinem bisherigen Leben hatte ich den mir vorgeschriebenen Weg schon mehr als einmal verlassen. Zur Zeit befand ich mich wieder auf völlig neuem Gebiet. Ich hatte keine Ahnung, wie es für mich weitergehen sollte. Da war nur mein Wunsch, Heilerin zu werden. Aber wie das in der Realität aussehen würde, das wusste ich immer noch nicht.

Gut, ich soll mir meinen eigenen Weg suchen! So werde ich es tun, beschloss ich. Als ich mich durch die Wildnis schlug, spürte ich, dass es so für mich stimmte. Dass sich mir Dornen und Gestrüpp vor die Füße legten, hatte für mich eher symbolischen Charakter. Leichtfüßig überwand ich die Hindernisse und dachte dabei an die Dornen, die sich mir im Laufe meines Lebens in den Weg gestellt hatten. Wie hatte ich mich gequält und gekämpft in meinem Leben. Und wie einfach empfand ich es jetzt! Der Wald in seiner Wildheit gefiel mir außerordentlich gut.

An einem wunderschönen Platz inmitten einer Buchengruppe, die ihre Blätter wie ein Dach über mir ausbreitete, auf einem weichen Moosteppich ließ ich mich nieder, um mich für die Nacht einzurichten. Es dämmerte bereits, und es war eine schöne Atmosphäre. Ich breitete meinen Schlafsack aus, stellte meinen Regenschirm wie ein kleines Zelt am Kopfende auf, schlüpfte in den Schlafsack und bedankte mich bei meinem Schöpfer für den Frieden, der mich umgab. Genau in diesem Moment wurde ich erschüttert von einem Schrei, wie ich ihn nie zuvor in meinem Leben vernommen hatte. In mir erstarrte alles. Wildschweine, ging es mir durch den Kopf. Das konnte nur ein Wildschwein gewesen sein. Um mir zu bestätigen, dass ich nicht unter Halluzinationen litt, tat das Ungetüm einen zweiten, noch schrecklicheren Schrei. Das war zuviel für mich! Ohne lange zu überlegen, sprang ich auf. Zwar konnte ich nichts sehen, was Ähnlichkeit mit einem Wildschwein hatte, aber ich war mir sicher, dass eine ganze Horde irgendwo lauerte und mich überfallen würde. In Blitzeseile packte ich meine Sachen zusammen und stolperte durch die Dornen zurück auf einen Weg. Nur schnell weg von hier. Ich wollte meine Waghalsigkeit nicht mit dem Leben bezahlen, also musste ich mich retten.

Obwohl ich den ganzen Tag nicht einen Menschen getroffen hatte und mir diese Tatsache das Gefühl vermittelte, mitten im tiefsten Wald zu sein, fand ich nach kurzer Zeit eine richtige Landstraße. Inzwischen war es fast dunkel geworden. Trotzdem fiel die Angst von mir ab. Ich fühlte, dass ich richtig gehandelt hatte. Vertrauen hin, Vertrauen her, ich muss mich trotzdem entscheiden, will mich nicht ausliefern.

Das waren meine Gedanken zu dieser Situation. Im Moment wollte ich mich nicht weiter damit auseinandersetzen. Ich würde noch genug Zeit dafür haben. Jetzt ging es einfach darum, zu sehen, wie ich nach Hause komme. Das erstemal spürte ich, dass meine Füße wund waren und ich auch sonst ziemlich erschöpft war.

Dennoch beschloss ich, die Nacht über zu wandern. Vielleicht könnte ich dann am Morgen in ein Verkehrsmittel steigen. Ich wusste nicht, wo der Weg lang ging, vertraute jedoch meinen Füßen, die sich für eine Richtung entschieden.

Da ich gerade meinem sicheren Tod entronnen war – so meine Fantasie – empfand ich die Teerchaussee, die zwar auch unbelebt und dunkel war, als Weg zurück in die Zivilisation. Ich spürte so etwas wie gerettet sein. Mich hatte auf meiner nächtlichen Wanderung bislang ein Auto überholt, ein anderes war mir entgegen gekommen. Es war mir recht, dass der Verkehr so spärlich hier war. Immerhin gab es auch die Möglichkeit eines Überfalls. Wie viele einsame Männer mochten heute, am Samstag abend, nach einem Opfer für ihre Triebbefriedigung suchen. Eine einzelne Frau auf einer dunklen, unbelebten Straße würde ein gutes Opfer abgeben.

Solche Gedanken gingen mir durch den Kopf, als plötzlich ein Auto neben mir stoppte. Ein junger Mann, der etwas das Alter meines Sohnes hatte, sprang heraus und fragte mich mit fröhlicher Stimme: „Können wir dich ein Stück mitnehmen? Wo willst du denn hin mit dem schweren Gepäck mitten in der Nacht?“ Ohne lange zu überlegen, stieg ich in das Auto, in dem noch ein anderer junger Mann saß. Ich empfand die beiden als von oben geschickt und konnte die Hilfe gut annehmen. Sie erzählten mir, dass sie mir entgegengefahren waren und sofort beschlossen hatten, umzukehren, um mir weiterzuhelfen. Sie machten einen langen Umweg, um mich zum nächsten Bahnhof zu bringen, wo der letzte Bus bereitstand, der mich wohlbehalten in meine Stadt brachte.

Als ich schließlich lange nach Mitternacht in meinem eigenen Bett lag, ergriff mich leichte Wehmut. Ich hatte die Prüfung nicht bestanden, und meine Helfer waren sicher von mir enttäuscht. Aber warum hatten sie mir dann das Auto geschickt? Irgendwie spürte ich, dass alles dazugehörte und ich noch intensiver darüber nachdenken sollte.

Plötzlich hatte ich die Lösung: Meine Lehrerin hatte gesagt, dass ich drei Tage im Wald verbringen sollte. Auf meine Frage, ob die Nächte dazugehörten, hatte sie lächelnd die Schultern gezuckt und gemeint: „Das kannst du machen, wie du willst.“ Zwei Tage hatte ich inzwischen im Wald verbracht, den dritten würde ich auch in einem Wald verbringen, nur in einem anderen. Ja, so würde es gehen. So konnte ich die Aufgabe doch noch beenden. Ich stellte mir den Wecker und schlief ein.

In aller Frühe machte ich mich am nächsten Tag auf den Weg. Es war einer dieser friedvollen Sonntagmorgen, an dem alles seine Ordnung hat. In meiner Hand ruhte die dritte Glaskugel. Sie war orangerot wie die aufgehende Sonne. Was würde der heutige Tag mir bringen? Auf meinem langen Marsch hatte ich genügend Zeit, noch einmal die Geschehnisse von gestern zu durchdenken. Das Gefühl, dass alles von oben für mich arrangiert worden war, wurde immer stärker in mir. Diese Schreie hatten nur dazu gedient, mich zu einer Entscheidung zu bringen. Entweder ich wäre liegengeblieben und hätte um Vertrauen gebetet, oder ich wäre vor Angst noch weiter in meinen Schlafsack gekrochen und hätte mich ausgeliefert gefühlt oder… oder… ich glaube, es hätte mehrere Möglichkeiten des Handelns gegeben. Ich hatte mich für eine entschieden und damit voll die Verantwortung für mich übernommen. Und ich spürte deutlich, dass mein Handeln ganz richtig war. Ich hatte meinen eigenen Weg gefunden!

Der Ort zu dem ich mich an diesem dritten Tag begab, war mir vertraut. Schon oft hatte ich hier gesessen und mir Kraft geholt. Heute wurde ich mit meiner Vergangenheit konfrontiert. Es gab noch so viele Dinge in mir, die mich in meiner Entwicklung störten. Das Wasser des plätschernden Baches an meiner Seite raunte mir zu: „Du kannst deine Kampfeshaltung in Zukunft aufgeben, weil du sie nicht mehr brauchst. Du hast den Weg der Liebe eingeschlagen. Damit hast du genügend Schutz. Die Liebe gibt dir soviel Kraft, wie du sie für deine Entwicklung brauchst. Öffne dein Herz noch weiter! Damit erweiterst du dein Sein, kannst wachsen und neue Dimensionen erreichen. Hab noch mehr Vertrauen in dich, in Gott in dir. Lass Altes los und liebe, liebe!“

Ich war tief erschüttert. Als ob das so einfach wäre! Mein mir vertrautes Muster des Mich-zur-Wehr-Setzens, des Kämpfens um meine Rechte, des Nicht-mit-mir-Machen-lassens hatte mir viel Macht und Sicherheit gegeben. Jahrelang hatte ich darum gerungen, endlich die unterdrückte Wut zuzulassen. Und nun sollte ich sie wieder aufgeben? Wie soll das gehen in dieser kalten, unerbittlichen Welt, jammerte ich. Soll ich mich den machthungrigen und egoistischen Typen in Zukunft einfach so aussetzen? Sie werden doch nicht auf Gefühle wie Sanftmut und Liebe reagieren, sondern mich schamlos ausnutzen wie früher. Das kannte ich nur zu gut. Wie oft hatte ich mich in früheren Zeiten kampflos und weinend in mein Kämmerlein zurückgezogen und mich schwach gefühlt. Und wie glücklich war ich gewesen über den Erwerb der neuen Kraft und meine Freude zum Kampf! In mir brodelte es. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass mir die Liebe in schwierigen Situationen helfen würde.

„Versuch es! Lass das Alte los. Gib dich ganz dem Neuen hin. Du machst so gute Fortschritte auf dem Weg der Liebe. Blockiere dich nicht wieder!“, mischte sich nun die Buche ein, unter der ich saß. Auch die Tiere um mich her, die Bienen, die Fliegen, die Schmetterlinge schienen mir zuzurufen: „Lass los! Lass einfach los!“

Langsam wurde ich weicher. Sollte ich vielleicht als Demonstration für einen Neubeginn in meinem Leben meinen Zweitnamen ablegen, der die Bedeutung Kämpferin hatte und ihn mit einem anderen mit der Bedeutung Sanftmütige ersetzen?

Ich streckte mich aus im Gras und ließ mich von der Sonne wärmen. Ja, in meinem Inneren begann sich etwas Neues auszubreiten. Ich glaubte zu verstehen. Auch Jesus, der großen Meister und Menschensohn war den Weg der Liebe gegangen. Wenn dich jemand auf die eine Backe schlägt, halte ihm auch die andere hin, hatte er gesagt. Das allergrößte im Leben ist die Liebe! Ich werde diesen Weg mit allen Konsequenzen beschreiten, jubelte ich mir zu. Heute ist der Tag der aufgehenden Sonne, der Tag des Neubeginns, der Neugeburt.

Ich sprang auf und wirbelte herum. Ich hab heut Geburtstag, trallalallala, sang und lachte ich in den Wald hinein. Zum Geburtstag gibt es Geschenke, sagte ich mir. Ich werde mir den schönsten aller Blumensträuße pflücken, beschloss ich. „Du wolltest doch keine Blume mehr pflücken, um ihr nicht das Leben zu nehmen. Das hast du vor einem Jahr beschlossen und dich auch bis heute daran gehalten. Willst du dir nun untreu werden?“, fragte mich meine innere Stimme. „Ach, heute ist ein besonderer Tag, den ich feiern will. Die Blumen freuen sich sicher mit mir“, sagte ich und begann mir ein schönes Exemplar auszusuchen.

Eine rotblühende, üppige Schönheit zog meinen Blick auf sich, und voller Liebe näherte ich mich ihr. „Du hast hoffentlich nichts dagegen, wenn ich dich pflücke“, sprach ich sie an und streckte bescheiden die Hand nach ihr aus. Vorsichtig knickte ich den Stiel um. Aber allein das erwies sich als Problem. Die Blume wollte nicht ihren Kopf beugen. Als ich sie endlich soweit hatte, gelang es mir nicht, den Stiel durchzureißen.

„Ich will dir nichts tun. Du wirst in einer schönen Vase stehen, und ich werde dich täglich bewundern“, versprach ich ihr. Aber umsonst, sie weigerte sich nach wie vor. „Nun kann ich dich nicht so hängen lassen, du musst mit mir kommen“, sagte ich und zerrte zähneknirschend an ihrem Stiel herum. Soviel Eigensinn machte mich ärgerlich. Ein altbekanntes Gefühl der Ungeduld stieg in mir auf. „Blumen sind zum Pflücken da“, schimpfte ich.

In diesem Augenblick merkte ich, was ich da tat. Gleich bei meiner ersten Handlung auf dem Weg der Liebe war ich in ein altes Verhaltensmuster gefallen. Wenn ich etwas nicht so bekomme, muss ich kämpfen.

O weia, da stimmte etwas nicht. Als ich die Blume endlich in Händen hatte, bedauerte ich meinen Beschluss. Da ich sie jedoch gepflückt hatte, wollte ich sie nicht allein lassen und guckte mir würdige Gefährten für sie aus. Die nächsten vier Blumen kamen freiwillig mit. Aber mir war die Freude vergangen, und ich fühlte mich schuldig. Eigentlich wollte ich gar keinen Geburtstagsstrauß mehr haben, aber ich mochte mein Vorhaben nicht aufgeben.

In diesem Augenblick passierte etwas sehr Merkwürdiges. Neben mir tauchte plötzlich ein Auto auf und hielt an. Der Fahrer kurbelte das Fenster herunter und sagte: „Sie wissen wohl, dass Sie sich strafbar machen! Hier ist Naturschutzgebiet und strengstens verboten, Blumen zu pflücken.“ Erst in diesem Moment erkannte ich, dass der Fahrer und sein Begleiter in Uniform waren. Ich entschuldigte mich und blickte verwirrt dem davonfahrenden Auto hinterher. Was sollte ich davon halten? Mir war den ganzen Tag nicht eine Person begegnet. Ich befand mich am Rande eines Waldes auf einem Feldweg, und es war Sonntag Nachmittag. Noch niemals zuvor hatte ich hier ein Auto gesehen und schon gar nicht die Polizei. Das musste ein Zeichen für mich sein!

Da fiel mir ein, dass mein Rückweg noch sehr weit war und die Blumen ihn sicher nicht überstehen würden. Wie dumm von mir. Ich beschloss, die fünf von mir gepflückten Pflanzen zurückzulassen. Dabei fühlte ich mich wie eine Mörderin und schämte mich zutiefst. Ich würde in Zukunft sehr wach sein müssen, um den Weg der Liebe in seiner vollen Konsequenz einzuhalten.

9

Neben den zahlreichen Hausaufgaben, die ich allein ausführen musste, gab es nach einiger Zeit eine Partnerin für mich. Mit ihr hatte ich wichtige Dinge zu lernen. Einmal im Monat trafen wir uns für einen Tag, an dem wir gemeinsame Hausaufgaben erledigen sollten.

Als sie mich das erste Mal in meiner Wohnung besuchte, brachte sie mir eine Rose mit. Beim Einschneiden des Stiels schnitt ich mich in den Finger. Der dicke, schwarze Blutstropfen, der aus der Wunde kam, war schnell weggewischt und ein Pflaster draufgeklebt. Nicht der Rede wert!

Unsere erste gemeinsame Aufgabe bestand darin, dass wir uns gegenübersaßen und uns in die Augen sahen. In meiner Ausbildung als Therapeutin hatte ich oft diese Übung machen müssen. Nach wie vor war es schwierig für mich, diese Nähe auszuhalten. Aber ich wollte ja lernen. Statt mein Herz zu öffnen und Liebe auszustrahlen, hielt ich mein Gegenüber auf Distanz. Ich tauchte in eine Gedankenflut ein, die nicht viel mit meiner Partnerin zu tun hatte, die mir jedoch ihre Nähe erträglich machte. Ich hätte ebenso gut meine Augen schließen können, sosehr war ich bei mir. Nach Beendigung der Übung sollten wir uns austauschen über unsere Gefühle und Gedanken. „Mir geht es total gut mit dir. Ich kann dich so nehmen, wie du bist“, sprudelte ich los. Das änderte sich in dem Augenblick, als sie mir ihre Empfindungen mitteilte: „Du hast mich die ganze Zeit angestarrt, besonders mit dem einen Auge. Ich habe mich angestrengt, um dich aus deinem Gefängnis zu befreien. Aber du hast gar nicht reagiert.“

Wie war das möglich! Wie konnte sie so etwas zu mir sagen! Das war doch eine ganz gemeine Kritik! Damit wollte sie mich gezielt treffen und sich über mich stellen! Nur nicht die Verletzung zeigen, die Zeiten sind vorbei! Ich lasse mich nicht mehr verletzen! Das waren meine ersten Gedanken, aber die blieben schön bei mir. Ich schluckte kurz und sagte souverän: „Wenn du mich so erlebt hast, kann ich dir nicht helfen. Ich habe mich trotzdem gut gefühlt, so wie ich mich verhalten habe.“ Bei unserem Abschied schien alles in Ordnung zu sein.

Erst am nächsten Morgen brach mein Schmerz heraus. Ich fühlte mich so verkannt und abgelehnt, so ungeliebt und kritisiert wie damals in meiner Kindheit. Tränen der Wut, der Trauer und des Schmerzes bahnten sich ihren Weg. Über Nacht war auch etwas mit meinem verletzten Finger passiert. Er war angeschwollen und schmerzte sehr. Vier Wochen lang hatte ich mit ihm zu tun. Die Schmerzen waren manchmal unerträglich. Es pochte und stach in meinem Gelenkknochen, als würde eine Explosion bevorstehen. Aber die angesammelten und aufgestauten Eitermassen fanden keinen Weg nach draußen. Die Wunde hatte sich geschlossen und ließ nichts heraus. „Das muss operiert werden. Ich hatte genau so einen Finger vor einiger Zeit. Damit ist nicht zu spaßen. Geh schnell zum Arzt“, riet mir eine Freundin.

„Das Gift in deinem Herzen steht in Verbindung mit deinem Finger. Öffne dein Herz, und die Wunde wird sich öffnen“, sagte meine Lehrerin. Obwohl ich zeitweise in Panik geriet, ließ ich die entzündete Stelle nicht aufschneiden, sondern bemühte mich um Vertrauen. Und eines Tages platzte sie wirklich, was ich als ein Wunder empfand.

In dieser Zeit kamen immer wieder Menschen zu mir, die mit ihren Problemen nicht allein fertig wurden. Gemeinsam schafften wir Klarheit und fanden neue Wege. Eine junge Frau, die sehr unter dem Problem der Nähe litt, hatte sich bei mir eingefunden. Um ihr Herz hatten sich ein paar Schutzringe gelegt, die ihr nach und nach als unerträgliche Last erschienen. Sie wollte sie aufbrechen, fühlte sich aber wie zugeschnürt. Nun saß sie vor mir und wand sich in ihrer selbst auferlegten Einsamkeit. In diesem Moment war sie mir so nah! Ich verstand sie gut und empfand eine unendliche Liebe für sie. Hilf ihr, mein Gott, nimm die Fesseln von ihr, betete ich. Da brach etwas in ihr auf, und das erste Mal konnte sie vor mir weinen. Ich blickte auf meinen Finger und entdeckte einen Eitertropfen. Auch in mir war etwas aufgebrochen, und ich dankte meinem Schöpfer.

Bei den ersten Treffen mit meiner Mitschülerin spürte ich beinahe jedes Mal eine Mauer zwischen uns oder wenigstens Mauerreste. Es ging um Besserseinwollen, um Zeigen, was ich kann und wer ich bin. Sie sollte mich anerkennen und bewundern wie damals meine Geschwister. Wenn ich meiner Lehrerin von unseren Schwierigkeiten berichtete, sagte sie jedes Mal: „Nimm das als Geschenk. Alles was dir geschieht, ist ein Geschenk!“

Seit wann sind Schmerzen Geschenke?, fragte ich mich. Ich will friedlich und in Harmonie leben. Da brauche ich diese fürchterlichen Störungen nicht. Inzwischen habe ich verstanden, dass Störungen wirklich Geschenke sind. Sie machen mich wach und helfen mir, alte Muster aufzugeben, eingefahrenes Verhalten abzulegen und starre Gedankenformen zu überwinden. Wenn die Sicherung herausspringt oder ein Glas zerbricht, oder ich bekomme ein unangenehmes Schreiben vom Amt, oder in meiner Arbeit gibt es Schwierigkeiten – alles, alles dient mir heute als Hinweis, für den ich dankbar bin. Dadurch habe ich das Gefühl verloren, dass ich ständig Probleme bewältigen muss. Vielmehr bin ich immer am Lernen, was ich als sehr spannend empfinde.

Bei unseren gemeinsamen Aufgaben hatten wir auch Spaß. Einmal sollten wir fünf Stationen mit dem Zug irgendwohin fahren. Bei jeder Station gab es ein neues Wort, über das wir nachdachten, während wir uns dabei ansahen. Kaum hatte ich Platz genommen, als ich einen starken Drang zum Lachen in mir spürte. Zuerst versuchte ich, das Lachen wegzudrücken, mich zu beherrschen, um nicht aufzufallen. Aber nach der zweiten Station war das nicht mehr möglich. Mein ganzer Körper wurde geschüttelt ohne Stop. Nach der dritten Station war die Strecke beendet. Der Zug fuhr nicht weiter, und wir mussten umsteigen. Ein Zug ist nicht einfach zu Ende, zu komisch, lachte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen. Als wir im nächsten Zug saßen, um die letzten beiden Stationen zu machen, fragte uns ein Schaffner: „Wo wollen Sie denn hin?“, ein neuer Reiz für einen Lachanfall für mich. „Wir zwei fahren irgendwohin“, sang es in mir, während mein ganzer Körper sich schüttelte. Als Teenager hatte ich oft solche Anfälle gehabt, besonders dann, wenn Ruhe angesagt war. Damals habe ich unter meinem unmöglichen Verhalten gelitten, aber diesmal konnte ich es genießen. Ich fühlte mich so leicht und beschwingt, wie schon lange nicht mehr. Es war, als fielen tausend Ketten von mir ab. Diese Leichtigkeit habe ich seit damals zum Teil beibehalten können. Es gibt keine Probleme, wir machen sie uns selbst, stammt aus dieser Zeit.

Nachdem ich aufgeschrieben hatte, dass es keine Probleme gibt, verstaute ich die Schreibmaschine und fiel in eine Schwere, wie ich sie von früher kannte. Es war, als hätte ich das bisher Geschilderte umsonst erlebt. Meine Ruhe und auch die Leichtigkeit schwanden dahin, und ich verstand nicht. Es dauerte eine Zeit, bis mir bewusst wurde, dass die Schwere immer wieder mal auftaucht, um mich auf neue Lektionen aufmerksam zu machen.

Der erste Teil meiner Ausbildung zur Heilerin ist längst beendet. Eines Tages teilte ich meiner Lehrerin mit, dass ich glaubte, mich von ihr verabschieden zu müssen. Meine letzte Hausaufgabe bestand darin, mir selber Hausaufgaben durchgeben zu lassen. Voller Freude stellte ich fest, dass das funktionierte. Ich sollte mich unter den Wolkenhimmel legen und sehen, was geschieht. Voller Skepsis tat ich dieses und war überrascht über das Ergebnis. Die Wolken, die sich vor die Sonne schoben, erschienen mir zunächst als störend, weil sie mir die Wärme nahmen. Der Wind trieb sie jedoch weiter, und in Gedanken begleitete ich sie. Mir fiel dazu ein, dass Wolken wichtig sind für die Regenbildung. Der Regen wiederum ist wichtig für das Wachstum. Ich zog eine Verbindung zu mir. Ich will sein wie die Wolken, will mich dahin treiben lassen, wo ich gebraucht werde. Fast ein Jahr ist seit dieser Aufgabenstellung vergangen, aber das Wolkengebilde hat sich tief eingeprägt. Mein Leben hat einiges damit zu tun. Ich bin viel unterwegs, höre oft die Worte: „Du bist im rechten Augenblick gekommen“.

Wenn ich zuhause bin und mich in der Stille auffülle, kommt ein Anstoß oder ein Hilferuf von irgendwoher, und ich begebe mich wieder auf Wanderschaft.

Auch die zweite Aufgabe, die durch mich kam, hat Nachhall in mir hinterlassen. Ich sollte eine Streichholzschachtel öffnen und Hölzchen für Hölzchen abbrennen lassen. Es gab drei Kategorien von Hölzern. Die erste war die der kurz Aufflackernden, die schnell verlöschten. Die zweite Gruppe der Hölzer brannte länger, schien jedoch viel Energie mit Kampf und Widerstand zu vertun. Sie verlöschten in der Hälfte des Holzes. Die dritte Sorte brannte ganz ruhig bis zum Ende. Die abgebrannten Teile lagen gebeugt auf einem Haufen. Auch aus dieser Aufgabe nahm ich Lehrgut für meine Zukunft. Ich will meine Aufgabe mit Geduld und ohne Widerstand ausfüllen. Vor meinem Schöpfer will ich mich verbeugen. Seit dieser Zeit sind meine ersten Gedanken am Morgen: Dein Wille geschehe!

10

Inzwischen habe ich eine Reihe von Schülern, die sich regelmäßig von mir Hausaufgaben durchgeben lassen. Ich bin immer wieder überrascht und erfreut, welche Erkenntnisse und Lehren sie für ihre Bewusstseinserweiterung erlangen. Ich bin auch überrascht über die Vielfalt der Aufgaben, die für jede Person und jede Situation da sind.

Manche Hausaufgaben, die ich weitergebe, laden mich ein, sie selber auszuführen. Wenn mir mein Schüler dann von seinem Ergebnis erzählt, halte ich meins dagegen, und zusammen entdecken wir noch einmal Möglichkeiten der Erkenntnisse.

So ging es mir auch vor einiger Zeit mit der Nelke. Eine Klientin hatte die Aufgabe, sich eine Nelke zu kaufen und zu sehen, was dadurch bei ihr passiert. „Ich mag keine Nelken“, war ihre erste Reaktion. „Ich auch nicht“, sagte ich und beschloss, mir auch eine Nelke zu besorgen. Eigenartigerweise entdeckte ich erst da, dass eine Nelke in dem Strauß enthalten war, den ich vor zwei Tagen geschenkt bekommen hatte. Noch eigenartiger war, dass diese Nelke als einzige Blume des ganzen Straußes verwelkt war. Ich musste sie wegwerfen, beschloss aber sofort, mir einen neuen Strauß mit Nelken zu kaufen.

Ich suchte mir zehn weiße Nelken aus, dazu lila Anemonen und Narzissen. Der Strauß wurde schön gebunden, und ich erfreute mich an ihm. Jeden Morgen beim Frühstück betrachtete ich ihn hingebungsvoll und entdeckte immer neue Regungen in mir. An dem Sonntag als die Narzissen aufgeblüht waren, gab es die Gedanken über Bescheidenheit und Überheblichkeit in mir. Die Nelken mit ihren kleinen weißen Köpfchen wirkten eher bescheiden gegen die sich ausbreitende Manier der Narzissen. Die Nelken passten gut in den Strauß, ich hatte sie inzwischen richtig liebgewonnen. Sie bildeten kleine Punkte, bei denen sich mein Blick ausruhen konnte. Die Bescheidenheit stand ihnen gut. Sie bildeten einen Gegenpol zu den auffälligen, stark duftenden Narzissen.

„Jeder hat seinen Platz und ist richtig da, wo er gerade ist“, dachte ich. Jede Pflanze hat einen Grund so zu sein, wie sie ist und genau so liebenswert. Diesmal hielten sich die Nelken am längsten frisch in dem Strauß. Für mich war das ein Beweis dafür, dass das mit meiner Liebe zu tun hatte. Eine Blume, die sich geliebt fühlt, hält eben länger!

Ja, und was ist mit mir? Was hat die ganze Angelegenheit mit mir zu tun? Bin ich eher überheblich oder bescheiden oder was? Mir fielen verschiedene Situationen ein, in denen ich so oder so gewesen war. Die Situationen waren abgeschlossen, und mein Verhalten war in meinen Augen richtig gewesen. Fast hätte ich die Hausaufgabe als abgeschlossen betrachtet, hatte ich doch eine Menge Anregungen durch die verschiedenen Kontemplationen erhalten.

Doch plötzlich gab es den Begriff Überheblichkeit noch einmal in mir. Diesmal ganz klar mit der Zuweisung, bei mir zu bleiben und mir meine Überheblichkeiten zuzugestehen. Was ist mit der Kirche? Du hast sie verlassen, weil du dich in ihr nicht wohl gefühlt hast. Ja, du hast die anderen verurteilt, hast sie bewertet. Für dich gibt es Möglichkeiten, deine Überheblichkeit auszugleichen, sie aufzulösen.

„Geh heute in die Kirche, dort wirst du Abenteuer erleben“, hörte ich in mir. Also ging ich los. Der Gottesdienst wurde von einer Pfarrerin gehalten. Sie sprach über Überheblichkeit. In einem Text aus dem Neuen Testament hatte Jesus zu einigen Menschen gesagt: „Was rede ich überhaupt nicht mit euch? Ihr kommt von unten, und ich komme von oben“. So überheblich kennt man Jesus sonst nicht, sagte sie. Ich saß da mit weit geöffneten Ohren. Ich war so gespannt, was sie aus dieser Geschichte machen würde. Sie schlug einen Bogen zu uns in der heutigen Zeit. Ich weiß nicht, wie es möglich war, aber plötzlich gab es wieder das Lieblingsthema der Kirche, nämlich das Leid. Wie war sie nur dahin gekommen? In mir rumorte es. Fas wäre ich aufgesprungen und hätte dazwischengerufen, als sie nun darüber sprach, dass wir lernen müssten, das Leid auszuhalten. Und die Freude, was ist mit der Freude?, schrie es in mir. Warum wird Jesus ständig als leidend dargestellt? Und warum sollen wir ständig leiden? Da ist doch etwas faul! Ich war ärgerlich und überheblich.

Die Geschichte endete keineswegs hier, sondern ging weiter. Ich verabredete mich mit der Pfarrerin, um ihr von mir mitzuteilen. Ich wollte sie darauf hinweisen, dass ihre Sichtweise falsch war. In unserem Gespräch konnte ich dann jedoch auch ihre Argumente verstehen. Ich konnte meine Hartnäckigkeit aufgeben und mich einlassen. Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl, dass meine Überheblichkeit einer Einsicht Platz gemacht hat, nämlich der Einsicht, dass viele Menschen viele Wege begehen, und jeder Weg einen Sinn hat. Ich muss niemandem meine Sichtweise überstülpen!

Die Erkenntnisse meiner Klientin bei dieser Hausaufgabe waren ganz andere: Sie hatte sich nur eine einzelne Nelke gekauft und sie in eine Vase gesteckt, die überhaupt nicht zu dieser Blume passte. Nun begann sie, die anderen Vasen auszuprobieren, bis sie eine passende fand. Da die Aufgabe lautete, festzustellen, was das mit ihr zu tun hätte, fand sie heraus, dass sie viel zu wenig für sich sorgte. Sie war in der Vergangenheit immer mit dem ersten Besten zufrieden gewesen. Als Konsequenz nahm sie sich vor, in Zukunft darauf zu achten, dass sie sich nicht sogleich mit allem abfinden wollte, sondern dass sie ausprobieren wollte, was wirklich zu ihr passt. Als wir unsere Ergebnisse miteinander verglichen, freuten wir uns darüber.

ENDE