Paradigmenwechsel

Gib und Nimm als Basis für einen Paradigmawechsel

Weil ich seit zehn Jahren ohne Geld lebe, werde ich eingeladen, darüber zu berichten. Schulen, Bibliotheken, Buchhandlungen, Kirchengemeinden, Frauenzentren, Lebensgemeinschaften, Vereine, Theater, Symposien, Kongresse, Talkshows sind daran interessiert, warum und wie ich es anstelle …

Das Thema“ ohne Geld leben“ fasziniert, interessiert, schockiert, verärgert, erfreut – die Gefühlspalette ist groß. Mein Publikum besteht aus sehr unterschiedlichen Menschen. Manche kommen, nur um mir zu sagen, dass ich eine Schnorrerin bin, die sich auf Kosten anderer durchschlägt. Sie beschimpfen mich und sind empört. Andere bewundern mich, sprechen von Pionierin und setzen mich auf einen Thron. Dann gibt’s die Belächler, die mich nicht ernst nehmen wollen. Ein Mann schleuderte mir mal die Worte entgegen: „Sie wollen doch nur tun, was Ihnen Spaß macht. Das nenne ich Egoismus per se. Was glauben Sie wohl, in welchem Chaos wir wären, wenn das alle so machten?“ Oder die jungen Frauen, die sich jedes Mal zu Wort melden, um ihre Zweifel auszusprechen:“ Mit kleinen Kindern lässt sich so doch nicht leben. Sie können es, weil Ihre Kinder erwachsen sind und Sie keine Verantwortung mehr tragen.“ So viele Wenns und Abers – immer wieder dieselben Fragen. Trotzdem setze ich mich seit zehn Jahren diesen Angriffen aus, ertrage, freue mich über die Unterstützer, die natürlich auch zahlreich erscheinen, bin verärgert, erkläre, suche nach Gemeinsamkeiten, wünsche mir Verständnis. Seit zehn Jahren will ich keine Missionarin sein, die anderen etwas überstülpt, die ihre Ideen als das A und O bezeichnet und als den neuen Weg präsentiert. Und dennoch sind mir meine Auftritte wichtig, die Darstellung meiner Beweggründe erscheinen mir notwendig und gerade in der heutigen Zeit unbedingt erforderlich!

Das hat mit der politischen und wirtschaftlichen Situation zu tun, wie sie sich heute präsentiert: Die steigende, nicht aufzuhaltende Zahl der Arbeitslosen, die Verschuldung des Staates und der daraus resultierenden Abhängigkeiten und Bewegungsstaus, das immer weitere Aufklappen der Schere in Reich und Arm, die Gewaltzunahme allerorten, auch im Klimabereich, was auf Missbrauch und Ausbeutung der Natur durch die Menschen zurückzuführen ist u.a. Bislang standen Ziele wie Zugewinn, Glück durch materiellen Reichtum, überhaupt das Materielle im Vordergrund. Ein Freund, der Oberstudienrat ist und jedes Jahr die Abiturienten nach ihren Visionen und Wünschen befragt, erhält jahrein jahraus dieselben Antworten. Das wichtigste sei ein guter Beruf und dazu eine Arbeitsstelle, die gut bezahlt wird, dann ein Haus mit Garten, Auto und alles, was den heutigen Lebensstandard ausmacht. Die meisten Menschen sehnen sich danach, aber immer weniger können ihn halten. Die Zahl der Menschen, die am Rande stehen, wächst. Lösungen sind angeblich nicht in Sicht!

Darum brauchen wir heute etwas Neues, einen Paradigmawechsel. Der Begriff Paradigma, aus dem Griechischen stammend und „Muster, Beispiel“ bedeutend, wird heute gern in Bezug auf eine neue Sichtweise benutzt. Wir müssen den Schwerpunkt auf andere Werte legen als die, die heute bestehen, heißt es. Um das besser zu verstehen, könnten wir uns klarmachen, dass Fortschritt auf zweierlei Arten möglich ist. Einmal durch Zugewinn des Wissens, in einer sich langsam entwickelnden Weise oder aber durch eine völlig neue Sichtweise. Nehmen wir als Beispiel die Flugverkehrsentwicklung. Sie begann um 1900 mit der Erfindung der Heißluftballons. Noch wurde damit experimentiert, um die Flugobjekte länger in der Luft zu halten, als die Brüder Wright die sensationelle Erfindung eines Apparates mit Motor präsentierten, der sich länger in der Luft hielt als alles andere vorher. Obwohl ihre Versuche für jedermann sichtbar waren, wurden sie nicht ernst genommen, von der Fachwelt für null und nichtig erklärt. Was nicht sein konnte – nämlich dass etwas flog, was schwerer als Luft war- durfte nicht sein. Jahrelang wurden die Brüder als Scharlatane abgetan! Heute sind wir um vieles schlauer und wissen, was sich alles entwickelt hat seitdem.

An dieser Stelle gäbe es weitere Beispiele aus der Geschichte. Ich will mich jetzt auf mein eigenes beschränken und darstellen, worin der Paradigmawechsel in meinem Lebensmodell besteht. Durch die Veränderung der Werteskala findet eine Veränderung der Lebensqualität statt.

1. An Stelle der Konkurrenz und dem Wettbewerb, der die Menschen in ihre Leistungshöchstform bringen sollte, steht nun das Miteinander, das sich gegenseitig Unterstützen, was uns in die eigene Kraft bringt. Ohne Druck können wir uns entfalten und herausfinden, wo unsere wirklichen Stärken liegen, die wir dann den anderen zur Verfügung stellen. Aus Fremdbestimmung wird Selbstbestimmung!

2. Statt Schnelligkeit und dadurch entstehende Oberflächlichkeit durch die vielen Dinge, die wir im Arbeitsprozess erledigen müssen, entwickeln wir nun Intensität. Die Intensität des Augenblicks und Hingabe an ihn, beschert uns eine tiefe Freude, die die Lebensqualität erheblich steigert.

3. Weglassen der destruktiven Kritik, um dem anderen Zuspruch zu geben.. Wir alle sind durch unsere Erziehung, durch die bestehenden heutigen Regeln derart verunsichert, dass es ein großer Schritt für jeden von uns ist, unsern Selbstwert zu entdecken und zu entfalten. Durch die gegenseitige Unterstützung geht das leichter, als wenn wir uns ständig rechtfertigen müssen und schauen, ja keine Fehler zu machen.

4. Fehler sind zum Lernen da. Wir dürfen sie machen, ohne gleich vor Scham im Boden zu versinken.

5. Alles was uns begegnet sind Chancen, die uns weiterbringen können. Auch Dinge, die erst Mal unangenehm erscheinen, gehören dazu. Krankheiten z.B. können uns wichtige Tipps für unser Verhalten bieten.

6. Die anderen Menschen nicht als Widersacher oder als Feinde sehen sondern als mögliche Freunde und Wegbereiter. Uns für sie öffnen und über unangenehme Begegnungen nachdenken.

7. Allem einen Sinn geben, auch den kleinen Dingen im Alltag. Mit diesem Wissen können wir die große Sehnsucht nach Außergewöhnlichem aufgeben und mit dem, was ist, glücklich sein.

Sicher gibt es noch mehr Unterschiede zwischen dem heute Bestehendem und dem Neuen in meinem Leben. Das soll an dieser Stelle jedoch genügen.

Was hat das mit dem Leben ohne Geld zu tun, werden Sie nun fragen. Das oben Genannte ließe sich auch mit Geld erreichen, und überhaupt ist es absurd, das Geld so sehr abzulehnen, denn es erleichtert doch unser Leben. Wir können froh sein, ein Tauschmittel zur Hand zu haben, das die Umständlichkeit des Tauschhandels von damals um vieles verbessert hat. Das stimmt, und ich möchte keineswegs das Geld verteufeln. Es hat in den letzten Jahrhunderten eine wichtige Aufgabe gehabt. Dennoch glaube ich, dass seine Zeit vorbei ist und wir uns auf andere Dinge besinnen können, die uns außerdem zur Verfügung stehen. Der Weg nach Innen oder des Herzens sollte in Zukunft eine größere Rolle spielen. Durch ihn wird etwas eingeleitet, das unser Vorstellungsvermögen übersteigt und uns in ganz neues Sein führt, in eine Leichtigkeit und Freiheit, von der so viele träumen.

Bei einem meiner letzten Vorträge, bei dem sich ein überaus buntes Gemisch von Menschen eingefunden hatte, unter anderem auch eine Reihe von Männern aus der politisch linken Szene, geschult in Rhetorik und analytischer Beweisführung, wurde mir von eben diesen Herren ein Mangel an Klarheit vorgeworfen. Berechtigt, wie ich zugab, denn meine Herangehensweise an die Dinge geschieht meist intuitiv, was ich jahrelang pflegte und hegte. Mein Schwerpunkt bestand in der Auseinandersetzung mit meinem Selbst, um den Ruck aus dem Kopf ins Herz zu schaffen! Durch das Leerwerden im Kopf, erzielt in jahrelanger Meditation, entdeckte ich den Lebensfluss in mir, dem ich nachging und der mich seitdem leitet.

Seit ein paar Monaten übe ich nun regelmäßig, mit drei Jonglierbällen so umzugehen, dass sie abwechselnd von rechts nach links über die Mitte fliegen, mal von der rechten Hand, dann wieder von der linken aufgefangen werden, wobei ich mir meine beiden Gehirnhälften vorstelle, die sich auf solche Weise miteinander verbinden. Zu diesem Programm gehört auch das „Sudoku- Heft“, ein Geschenk einer Freundin, im rechten Augenblick mir beschert.

Bei diesem Spiel geht es um logische Kombinationen von Zahlen, ausgeführt von der linken Gehirnhälfte. Meine linke Gehirnhemisphäre braucht Übung, um mit der rechten mithalten zu können. Eine Verschmelzung der beiden bringt Gelassenheit und inneren Frieden.

Und das gehört zu dem Paradigmawechsel: ein Zusammenspiel der beiden Gehirnhälften, damit der Mensch als ganzheitliches Wesen wirken kann. Wenn wir der Überbewertung der Logik, was über Jahrhunderte geschah, eine ergänzende Sichtweise aus der kreativen, spielerischen Hemisphäre zukommen lassen, verschiebt sich etwas: das Denken kann mit dem Fühlen zusammenfließen, der reine Kopfmensch sein Herz entdecken und umgekehrt. Dass Frauen und Männer so unterschiedlich an die Dinge herangehen, hat damit zu tun, wobei es nicht um eine Verallgemeinerung gehen soll. Jedoch wurden über Jahrhunderte durch die zugeteilten Rollen für Frauen und Männer die Lebensweise vom Gehirn bestimmt und die Werte festgesetzt. Jetzt ist etwas Neues angesagt, nämlich Geduld zu entwickeln für unsere eigenen Schwächen, um sie auszugleichen, Integration herzustellen und damit den erforderlichen Wertewandel zu erzielen. Gleichzeitig entdecken und schätzen wir unsere Stärken, die als Ergänzung zu den Stärken der anderen gefügt werden können, so dass ein Ganzes entsteht. So konnte ich die Kritik der Männer an dem Abend als Geschenk empfinden, musste mich nicht klein machen, weil ich weiß, dass ich meine Schwächen ausgleichen kann und an diesem Abend meine Lebendigkeit den anderen als Geschenk bringen durfte.

Geschrieben am 18.9.2006