Das Sterntalerexperiment- Mein Leben ohne Geld
Ab heute ist auch (der internationale Bestseller) „Das Sterntalerexperiment- Mein Leben ohne Geld“ mit der ISBN 9783738622850 als Handbuch (Paperback) und E-Buch mit der ISBN 9783739274737 wieder in den Buchläden und online erhältlich ! Klicken Sie hier für BoD >
Beschreibung:
Seit 1996 lebt Heidemarie Schwermer ohne Geld. Schritt für Schritt ist die ehemalige Lehrerin und Psychotherapeutin aus den bestehenden Strukturen ausgestiegen und in eine neue Freiheit hineingewachsen. Ihr Buch ist nicht nur die Beschreibung eines intensiv und engagiert gelebten Lebens, sondern zugleich eine Ermutigung, unser Wertesystem zu überdenken und alternative Formen des Miteinanders zu wagen.
Inhalt
ERSTER TEIL
1 Lehr- und Wanderjahre 7
Das Versprechen • Das Internat – ein Schritt in die Freiheit • Studium – eine neue Welt • Theorie und Praxis • Karneval in Rio • Santiago de Chile – Tor in eine andere Welt • Erinnerung an ein Versprechen • Das Kunsthaus – eine ideale Lebensform • Eine Tür wird geöffnet • Der Weg nach innen • Ein Schritt nach vorn • Meine Kinder flippen aus • Ganz unten • Umzug in die Großstadt • Schulung in Spiritualität
2 Die »Gib-und-Nimm-Zentrale« 51
Eine zündende Idee • Der Beginn von »Gib-und-Nimm« • Das erste gemeinsame Treffen • Die erste Liste • »Gib-und- Nimm« und das Geld • Verrechnungen • Konflikte • Kon- fliktlösungen • Die »Gib-und-Nimm«-Feste • Ein Haus für »Gib-und-Nimm«
3 Das Experiment geht weiter 82
Mein Leben ohne Geld • Abschied vom Besitz • Ohne Krankenversicherung • Das erste »fremde« Zuhause • Mein täglich Brot • Kleidung • Wunder • Post und Telefon • Erster Aufbruch • Reisen • Probleme • Die Medien merken auf
4 Dialoge und Diskussionen 116
Ein Leben ohne Geld. Von Carsten Günther • E-mail-Austausch mit Rudi Eichenlaub
ZWEITER TEIL
5 Abenteuer Alltag 144
Menschen • Familienanschluss • Tiere • Pflanzen • Gesucht und gefunden • Einsamkeit • Vorträge • Alternative Projekte • Kultur • Putzen • Ungeduld • Einbrecher
6 Märchen werden wahr 181
Sterntaler • Loslassen • Neue Werte • Gottvertrauen • Vom Geben und Nehmen • Spiegelungen • Gedankenkraft • Das hässliche Entlein • Sichtweisen • Annehmen • Das Paradies • Angekommen
7 Zukunftsvisionen 214
Auszüge aus meiner Homepage • Die Politikerin • Der Langzeitarbeitslose • Umpolung • Dankbarkeit • Pioniere • Lebensmodelle • Lektionen • Geldsorgen • Träume • Mitteilungen • Was nun? • Weitere Pläne • Politik der kleinen Schritte • Ein paar Ratschläge für unterwegs
8 Blick über den Tellerrand 251
Das neue Geld der Armen. Von Romeo Rey (Buenos Aires)
LESEPROBE
KAPITEL 1
Lehr- und Wanderjahre
Das Versprechen
Zu meinem zweiten Geburtstag bekam ich eine Puppenstube. Meine Freude muss groß gewesen sein, jedenfalls sehe ich mich noch heute begeistert durchs Zimmer springen und lachend in die Hände klatschen. Meine beiden älteren Brüder, meine Mutter und Ella, das Kindermädchen, freuten sich gut gelaunt mit der Kleinen. Wir lebten damals in Memel, wo mein Vater eine Kaffeerösterei hatte. Gehabt hatte. Jetzt war er schon länger fort, im Krieg, sagten die Großen.
Mir waren nur wenige glückliche Monate mit meinem kleinen Spielzeugreich vergönnt. Im Sommer 1944 spürte ich im Haushalt eine Unruhe, die mir zunächst unerklärlich blieb. Erst verschwand die heißgeliebte Puppenstube auf dem Dachboden, dann wurden alle Möbel im Haus mit Decken verhängt. Mutter und Großmutter begannen, verschiedene Sachen für eine Reise zusammenzupacken. Nur das Nötigste, versicherten sie einander, wir kommen doch bald zurück. Und dann stand wieder einmal das Pferdefuhrwerk bereit, mit dem wir schon so manchen Sonntag fröhlich aufs Land kutschiert waren. Aber die Stimmung war diesmal eine andere. Mutter weinte und meine Brüder waren ungewohnt schweigsam. Und noch etwas war anders als sonst: Die Straßen waren voller Menschen mit Pferd und Wagen. Wir reihten uns in die Kolonne ein und ab ging’s.
Ich verstand nicht, was da passierte. Aber ich hatte Angst und fing an zu weinen. Meine Mutter konnte sich nicht richtig um mich kümmern, sie hatte genug mit meiner kleinen Schwester zu tun, die damals sterbenskrank war und trotzdem aus dem Krankenhaus geholt worden war. Keiner hatte Zeit für mich. Mir war kalt. Ich hatte Hunger. Ich war nicht mal drei Jahre alt und wollte nach Hause zurück, in mein warmes Bett, zu meinen Kuscheltieren. Als meine Mutter meine Not bemerkte, versuchte sie mich zu trösten. »Pscht, meine Kleine, alles wird gut«, flüsterte sie. Aber ich spürte, dass gar nichts gut werden würde, auch nicht am nächsten Tag oder am übernächsten. Den Pferdewagen gaben wir später irgendwo ab und fuhren mit der Bahn weiter. Die Züge waren überfüllt, kalt und ungemütlich. Die Reise war beschwerlich und nicht ungefährlich. Meine Mutter schnappte sich bei jedem Halt einen großen Kochtopf und rannte zu den an der Strecke gelegenen Bauernhäusern, um etwas Essbares für ihre vier Kinder und Großmama zu erbetteln. Diese Ausflüge waren für uns jedesmal eine Tortur, wir wussten nie, ob die Mama rechtzeitig zurück sein würde. Einmal fuhr der Zug tatsächlich ohne sie los, wir schrien aus Leibeskräften, aber ob unsere lautstarke Verzweiflung oder irgendwelche anderen Gründe die Waggons wieder zum Halten brachten, weiß ich bis heute nicht.
Ein paar Mal mussten alle sehr schnell aussteigen und unter den nächststehenden Bäumen Schutz suchen. Der Himmel war dann plötzlich voller Flugzeuge, die nicht nur den Zug beschossen, sondern auch die Menschen. Nach jedem dieser Angriffe wuchs die Angst. Wir wussten: Einige Mitreisende lagen tot an der Strecke. Manchmal blieb der Zug stundenlang stehen, ganze Ewigkeiten, und keiner wusste, wann und ob es weitergehen würde.
Inzwischen hatten wir ein paar Tausend Kilometer zurückgelegt, von Ostpreußen bis nach Süddeutschland und dann wieder ein Stück Richtung Norden. In Verden an der Aller war die lange Reise vorerst zu Ende. Die örtlichen Familien hatten sich am Bahnhof versammelt, um uns in Empfang zu nehmen. Wir waren Flüchtlinge, das hatte ich endlich begriffen, und die Menschen, die hier wohnten, mussten uns aufnehmen, ob sie wollten oder nicht. Viele wollten nicht und ließen uns das deutlich spüren. Sie waren verärgert, weil sie mit den besitzlosen Fremden, die der Krieg hierher verschlagen hatte, teilen sollten. Wir allerdings hatten Glück: Der Bauer, der uns mitnahm, war ein guter Mensch; er und seine Frau verwöhnten uns Kinder nach Kräften. Zu Ostern durften wir Eier suchen und ein paar Wochen lang gab es für alle reichlich zu essen. Mutter und Großmutter halfen den Gastgebern bei der täglichen Arbeit. Es war ein Tauschen und Teilen, Geben und Nehmen in freundlicher Atmosphäre, und fast hätte ich darüber das Leid der vergangenen Monate vergessen.
Aber der Krieg war noch nicht vorbei und Mama machte sich Sorgen um die Verwandtschaft. Sie hatte erfahren, dass der Rest der Familie in Schleswig-Holstein gelandet war und wollte nun unbedingt auch dorthin. Vergeblich versuchten die netten Bauern, uns zum Bleiben zu überreden. Die Reise ging weiter. Die Verwandten fanden wir dann auch, aber mit dem Geben und Nehmen machten wir diesmal andere Erfahrungen. Nur widerwillig wurden wir von einer Bauernfamilie aufgenommen, mehr als eine kleine Kammer war nicht für uns übrig. Wir waren ihnen lästig und fühlten uns überflüssig und armselig. Wir hungerten, wieder einmal. Der Krieg ging zu Ende, die alte Heimat war endgültig verloren, ein Zurück gab es nicht. Wie viele andere Leidensgefährten mussten wir uns in der neuen Situation einrichten, irgendwie. Um unseren Hunger zu stillen, sammelten wir auf den Feldern übriggebliebene Ähren und später Kartoffeln. Oft zog die ganze Familie mit Körben und Eimern in den Wald, um Beeren zu suchen.
Die Bauern, bei denen wir wohnten, teilten nicht mit uns. Die köstlichen Düfte, die das Haus durchzogen und bis in unsere Kammer drangen, machten uns zwar den Mund wässe- rig, aber leider nicht satt. Schließlich nahm meine Mutter eine Stelle als Feldarbeiterin auf einem Gut an, für ein bisschen Butter und Milch. Nebenbei gab sie den Bauerntöchtern der Umgebung Klavierunterricht. Entlohnt wurde sie in kostbaren Naturalien: Kartoffeln, Brot, Eier und Mehl. Irgendwann kehrte mein Vater aus dem Krieg zurück, kam zu uns nach Norddeutschland und fing sofort mit den Planungen für eine eigene Firma an. Ganz langsam entstand wieder so etwas wie ein »normaler« Alltag. Aber die Erfahrungen der vergan genen Jahre waren nicht spurlos an mir vorübergegangen. Ich war ein stilles, nachdenkliches Mädchen mit viel Phantasie.
Als ich in die Schule kam, war ich wild entschlossen, ganz schnell Lesen zu lernen. Als ich es konnte, öffnete sich mir ein völlig neue Welt. Mein erstes eigenes Buch war ein Mär- chenbuch mit dicken, holzigen Seiten. Mit diesem Schatz hockte ich oft in meiner Blätterhöhle, die ich mir in einer Hecke gebaut hatte. Ein Platz für mich und für die Prinzessin-nen und Prinzen aus dem Märchenbuch, mit denen ich hier Stunden und Tage verbrachte, ganz und gar versunken in eine Welt, die mir gerechter und besser erschien als die wirkliche. Hier in meiner Höhle holte ich mir Kraft und entwickelte erste eigene Vorstellungen, wie das Leben sein könnte– sein sollte, wenn es nach mir ginge. Ich war sehr davon beeindruckt, dass in fast jeder dieser Geschichten das Böse besiegt wird und die Liebe triumphiert. Ja, so eine Welt wollte ich auch.
Stattdessen hatte ich erfahren müssen, dass Menschen auf andere Menschen schießen, dass die einen den anderen alles wegnehmen und dass die, die genug haben, denen, die hungern, nichts abgeben. Warum musste ich meine Spielsachen zurücklassen und monatelang in kalten Zügen hungernd und frierend durch Gegenden fahren, in denen Tote am Wegesrand lagen? Warum wurde ich jetzt, nur weil ich ein Flüchtlingskind war, als Lumpenpack beschimpft und ausgelacht, weil ich keine richtigen Schuhe besaß, sondern nur welche aus Holz? Wer sollte das verstehen? Und vor allem: Was hatte ich in einer solchen Welt verloren? Ich glaube noch heute, dass Märchen symbolischen Charakter haben. Und ich weiß, dass jeder einzelne Mensch dazu beitragen kann, diese Erde schöner und lebenswerter zu gestalten. Geahnt haben muss ich das wohl schon damals, in meiner einsamen Märchen-Blätterhöhle. Jedenfalls sehe ich es noch genau vor mir, wie das kleine traurige Flüchtlingsmädchen sich selbst ein großes Versprechen gab: »Ich werde alles dafür tun, an einer schönen Welt mitzuwirken. In dieser Welt soll es keine Kriege mehr geben. Und jeder Mensch soll in Würde leben.«
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KAPITEL 2
Die »Gib-und-Nimm-Zentrale«
Eine zündende Idee
Eines Morgens hörte ich im Radio einen Bericht über einen Tauschring in einem Dorf in Kanada. Der Ring war entstanden, nachdem die einzige örtliche Fabrik, die fast alle Fami- lien mit Arbeit versorgt hatte, pleite ging. Um ihr Überleben zu sichern, hatten sich die Bewohner zusammengetan und dieses Modell entwickelt, das, so simpel es klang, offenbar funktionierte: Jeder Einzelne gab seine speziellen Fähigkeiten in einen imaginären »Topf«, aus dem alle anderen sich bedienen konnten. Nach dem Motto »jeder kann was, was nicht jeder kann« entstand ein vielfältiges Angebot. Schreinern, gärtnern, mauern, massieren, Haare schneiden, backen, kochen, Kinder hüten, Auto reparieren – alles war drin im »Topf«, wurde gesammelt und verteilt. Wer eines der Angebote wahrnahm, musste es bei der allgemeinen Sammelstelle verbuchen lassen. Bezahlt wurde nicht wie üblich mit Geld, sondern die jeweiligen »Schulden« wurden mit dem jeweiligen »Guthaben« aus erbrachter Eigenleistung verrechnet.
In dem Bericht wurden Beispiele genannt, die das Prinzip verdeutlichten: Ein Mann repariert das Auto der Nachbarin. Dafür braucht er fünf Stunden, die ihm gutgeschrieben wer- den. Will er etwa seine Wohnung renovieren, holt er sich Hilfe von jemandem, der tapezieren, Teppiche verlegen etc. kann. Dadurch schrumpft sein Guthaben. Die Nachbarin mit dem Auto arbeitet unterdessen ihre »Schulden« ab, indem sie für andere Dörfler Kinder hütet.
Die Methode leuchtete mir sofort ein. Denn neben der Tatsache, dass hier ohne finanziellen Aufwand lebenswichtige Dinge erledigt werden konnten, entstand durch ein aus der Not geborenes Modell plötzlich ein lebendiges Miteinander. Zeit, die vorher für eintönige Fabrikarbeit draufgegangen war, stand jetzt für den Kontakt mit anderen Dorfbewohnern zur Verfügung. Zwei Fliegen mit einer Klappe, dachte ich und war begeistert. Das konnte die Lösung sein, nach der ich so lange gesucht hatte. Eine realistische Möglichkeit, zu einem menschlichen Umgang mit Armut und Isolation zu finden.
Aufgeregt erzählte ich meinen Freundinnen von dem kanadischen Experiment, und sie waren ebenso angetan wie ich von der Idee, ohne Geld über die Runden zu kommen. Allerdings wandten einige ein, dass derlei wohl nur auf dem Lande möglich sei, wo die Menschen einander ohnehin bes-ser kennen als in den großen Städten. Vielleicht hatten sie recht, aber ihre Skepsis hielt mich nicht davon ab, mit der Planung eines Tauschrings zu beginnen. Als erstes, soviel hatte ich immerhin schon kapiert, galt es, öffentliche Aufmerk-samkeit für mein Vorhaben zu gewinnen. Also schrieb ich eine Pressemitteilung etwa folgenden Inhalts:
»In unserer Gesellschaft herrscht in vielen Bereichen ein großes Ungleichgewicht. Betrachten wir zum Beispiel den Arbeitsmarkt, stellen wir fest, dass auf der einen Seite viele Men- schen überlastet und völlig erschöpft sind, und es auf der anderen Seite viele Arbeitslose gibt, die sich damit quälen müssen, ihre Tage einigermaßen sinnvoll zu gestalten. Beide Gruppen sind nicht gerade glücklich. Die einen vereinsamen,
weil sie keine Kräfte für irgendwelche Aktivitäten neben ihrer Arbeit haben, die anderen ziehen sich zurück, weil sie sich wertlos und nutzlos vorkommen und niemand sie braucht. Hier könnte Abhilfe geschaffen werden: Wenn diejenigen, welche viel Zeit zur Verfügung haben, diese mit jenen teilten, die keine haben, wäre beiden Gruppen geholfen. Ich möch- te meine Freizeit für die Gründung eines Tauschrings einsetzen, in dem Fähigkeiten, Dienstleistungen und Nutzgegenstände geteilt und getauscht werden können, ohne dass Geld dabei eine Rolle spielt. Auf diese Weise könnten sich alle alles leisten, die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wäre aufgehoben und eine neue Form des sozialen Miteinanders erreicht. Da in unserer Zeit das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen gestört ist, werde ich den Tauschring ›Gib-und- Nimm-Zentrale‹ nennen.«
Mit diesem Text klapperte ich die Dortmunder Tageszeitungen ab, stieß auf Interesse, und schon am nächsten Tag erschienen überall Artikel über mein Vorhaben – mit einem Foto von mir.
Während ich über die Umsetzung meines Vorhabens nachdachte, fielen mir die Mitfahrzentralen ein, die es seit Jahren in jeder Stadt gab. Eigentlich war das Prinzip dasselbe: Für wenig Geld kauften Menschen, die nicht selbst fahren konnten oder wollten, sich für die Dauer einer Reise in ein fremdes Auto ein, dessen Besitzer wiederum erstens einen Teil seiner Aufwendungen für Benzin erstattet bekam und zweitens als Dreingabe Gesellschaft und Unterhaltung. Drittens wurde das Fahrzeug ökonomisch und ökologisch genutzt, indem es bei gleichbleibendem Spritverbrauch nicht nur einen Menschen ans Ziel brachte, sondern zwei, drei oder vier. Die Mitfahrzentralen wurden rege genutzt, manche Autofahrer reizte der Spaßfaktor, andere die Möglichkeit, Benzinkosten zu teilen.
Jedenfalls lagen diese Unternehmen genau auf meiner Linie. Teilen, Kontakte herstellen, Ressourcen sinnvoll nutzen. Im ganzen Land hatten Mitfahrzentralen sich durchgesetzt, ich stellte mir vor, dass die »Gib-und-Nimm-Zentralen« sich im selben Maße ausbreiten würden. Allerdings hatte ich nicht vor, davon zu profitieren. Ich wollte nur den Anstoß ge- ben, die ganze Sache in Schwung bringen und mich dann zurückziehen, um nach neuen Aufgaben zu suchen. Aber es sollte anders kommen.
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KAPITEL 3
Das Experiment geht weiter
Mein Leben ohne Geld
Ich war verärgert. Wieder einmal hatte ich mir von einem enttäuschten Mitglied anhören müssen, dass das Tauschen mit Fremden einfach nicht möglich sei. Die Leute, die sich auf die Gib-Liste eintrugen, hätten gar kein richtiges Interesse an der Sache, und überhaupt klappten die meisten Aktionen nicht.
Was konnte ich nur tun, um zu vermitteln, dass es sehr wohl möglich war, auf Fremde zuzugehen, mit ihnen zu tauschen und zu teilen, Spaß zu haben und sie am Ende zu Freunden zu machen? Wie war doch gleich das Erfolgsrezept der berühmten Pädagogen? Man muss seine Ideen leben, sie aus dem Kopf heraus- und in die Tat hineinnehmen! Wie wäre es, fragte ich mich, wenn ich meine Idee wirklich hundertprozentig leben und ganz aufs Geld verzichten würde? Wenn ich also ein Exempel statuierte, das vielleicht, hoffentlich, ein paar anderen Menschen Mut machen würde? Ach Quatsch!, dachte ich verzagt. Wie sollte das denn gehen. In einer Gesellschaft, in der nicht mal die Toilettenbenutzung gratis war. Am besten schlug ich mir die Vorstellung gleich wieder aus dem Kopf.
Aber der Stachel saß fest und stach immer mal wieder. Als eine Freundin, die Urlaub machen wollte, mich bat, unterdessen ihre Blumen zu gießen, kam ich wieder ins Grübeln. Wie wäre es wohl, meine eigene Bleibe aufzugeben und nur noch in Wohnungen anderer zu leben, während die gerade auf Reisen sind? Ich hätte keine Miete mehr zu zahlen, und die Wohnräume würden sinnvoll genutzt. Hmmm. Meine Freundin hatte mir ohnehin angeboten, ihr Heim zu nutzen, solange sie weg war. Nach dem Blumengießen setzte ich mich in ihr Wohnzimmer. Hübsch war es hier! Eine Weile saß ich ganz entspannt da. Aber plötzlich wurde ich nervös, sprang auf, packte meine Sachen zusammen und fuhr nach Hause. In mein Zuhause. Fehlanzeige!, dachte ich. Vergiss es! Jeder braucht ein Eckchen für sich allein, das weißt du doch!
Kurz darauf meldete sich eine Frau von »Gib-und-Nimm« und bat mich, für drei Tage ihren Hund zu betreuen. Morgens und abends musste Struppi Gassi geführt werden, tagsüber konnte er allein bleiben, aber nachts brauchte er jemanden um sich. Ich erklärte, dass ich in anderen Wohnungen immer unruhig würde, und meine Kundin empfahl eine Reini- gungsaktion mit Salbeistäbchen. Sie betonte, wie wichtig es sei, die Atmosphäre von fremden Energien zu befreien, und dass ich mich nach der Salbei-Prozedur überall wohl fühlen würde. Ich befolgte ihren Rat, schließlich war es ihre Wohnung, hielt das Räucherstäbchen in sämtliche Ecken und füllte die Räume nach und nach mit meinen eigenen Energien. Die drei Tage verliefen bestens, das vertraute Heimweh blieb aus, und Struppi wurde ein guter Kumpel.
Langsam sprach sich im Tauschring herum, dass Heidemarie Schwermer jederzeit bereit war, in verwaisten Wohnungen Rolläden runterzulassen, Blumen zu gießen, Vögel zu füttern oder auch zeitweise ganz einzuziehen. Allmählich übernahm ich die Rolle einer Haushüterin, und ich wusste inzwischen, was ich anstellen musste, um mich überall daheim zu fühlen. Die Idee, ganz ohne eigene Bleibe zu existieren, schien mir auf einmal gar nicht mehr so exzentrisch. Aber mietfrei zu leben wäre nur der erste Schritt in ein Dasein ohne Geld. Der andere monatliche Brocken war die Krankenversicherung. Und die konnte ich nun wirklich nicht aufgeben. Jeder brauchte eine Krankenversicherung. Oder nicht?
Der Zahnarzt spielte seit Jahren eine Hauptrolle in meinem Leben. Seit dem Umzug nach Dortmund machten mir meine Zähne, mit denen ich früher nie Probleme hatte, sehr zu schaffen. Ständig war ich in Behandlung und konnte es mir nicht erklären. An was biss ich mir da nur die Zähne aus?
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Das Buch gibt es auch in verschiedenen Sprachen und Shops. Einige kann man von hier aus besuchen.